Fachtagung Stadt-Lärm - Stadt-Leben: «Nur im Weltall ist es wirklich still»
SKM - Positionspapier «Geschwindigkeiten für lebenswerte Städte»
KSSD - Mediterrane Nächte in der Schweiz: Vergleichende Studie der Hochschule Luzern
Martin Merki, Co-Präsident der Konferenz der Städtischen Sicherheitsdirektorinnen und -direktoren, hatte die Ehre, die Fachtagung zu eröffnen und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Ufer des Vierwaldstättersees zu begrüssen. Obwohl die Lärmthematik bereits Gegenstand intensiver Debatten zwischen den Städten war, besteht nach wie vor ein echter Bedarf für den Erfahrungsaustausch. Grundsätzlich stellt sich folgende Frage: Wann wird ein Klang zu Lärm? Wenn es bei dieser Fachtagung auch nicht darum ging, einen Konsens zu finden, bot sie doch die Möglichkeit, Überlegungen zu dieser Frage anzustellen.
Zur Einführung haben der SSV, die KSSD und die SKM, die diese Tagung gemeinsam organisiert haben, den Stadtklangforscher Thomas Kusitzky eingeladen, dem versammelten Publikum die Ergebnisse seiner jüngsten Forschungsarbeiten vorzustellen. Seine Gedanken drehten sich um den Stadtlärm, den wir, Stadtbewohnende oder Pendlerinnen und Pendler, gerne in der Stadt antreffen würden. Im Idealfall sollte dieser Lärm unsere Idealvorstellungen eines gelungenen Stadtlebens widerspiegeln. Dieser Idealklang ist Gegenstand generationsübergreifender Verhandlungen: Heute den Idealklang für die Stadt von morgen zu entwickeln, ist schwierig. Bereits die Vergangenheit birgt nämlich grosse stadtplanerische Visionen, die sich später als problematisch erwiesen haben.
Nach dieser philosophisch geprägten Einführung über unsere Beziehung zum Lärm und zum Leben in der Stadt stellte Martin Flügel, Direktor des SSV, die konkreten Herausforderungen, mit denen die Städte in der Lärmthematik konfrontiert sind, sowie die vom Städteverband getroffenen Massnahmen, vor. Wenn sich die Städte entwickeln wollen, haben sie gleichzeitig die Verantwortung und Pflicht, ihre Bevölkerung gegen den Lärm zu schützen. Den Lärm auf einfache, rasche und kostengünstige Weise zu bekämpfen, bedeutet, ihn nach dem Verursacherprinzip an der Quelle zu reduzieren. Da die Hauptlärmquelle der Strassenverkehr ist, setzt sich der SSV für eine Temporeduktion ein: Die Städte müssen die Möglichkeit haben, rasch, unkompliziert und der jeweiligen Situation angepasst, generell Tempo 30 einzuführen. Im Baubereich muss die Revision des Umweltschutzgesetzes (USG), die in diesem Frühling vom Schweizer Parlament in Angriff genommen wurde, eine Lärmreduktion an der Quelle beinhalten. Sie sollte auch eine Sonderregelung für «Lüftungsfenster» vorsehen, wobei im Gegenzug Aussenbereiche beruhigt werden sollen.
Nach diesem einführenden Teil richtete sich die Aufmerksamkeit im ersten Themenblock auf die bedeutendste Massnahme der Lärmreduktion an der Quelle: Tempo 30. Diese prioritäre, weil unkomplizierte, rasch umsetzbare und kostengünstige Massnahme betrifft jedoch auch den öffentlichen Verkehr. Samuel Fréchet, Verantwortlicher für die Angebotsplanung der öffentlichen Verkehrsmittel der Region Lausanne (TL) sprach über diese Frage, nämlich wie Tempo 30 mit dem guten Funktionieren der öffentlichen Verkehrsmittel vereinbart werden kann. Er erinnerte einleitend daran, dass die Fahrgeschwindigkeit der Busse die Zahl der betriebenen Fahrzeuge und die damit verbundenen Kosten stark beeinflusst: Der Verlust von wenigen Minuten auf eine ganze Linie gerechnet, kann den Einsatz eines zusätzlichen Fahrzeugs erfordern, wenn die Betriebsfrequenz aufrechterhalten werden soll. Das von der Stadt Lausanne auf den Hauptachsen eingeführte nächtliche Tempo 30-Regime hatte keine grossen Auswirkungen auf die TL, da begleitende Massnahmen getroffen wurden: Schaltung auf Blinklicht an signalisierten Kreuzungen, Anpassung des Fahrplanes. Auf jeden Fall müssen die strukturierenden Achsen unabhängig von der Geschwindigkeit den Vorrang über das sekundäre Netz behalten. Wenn man die Angebotsfrequenz beibehalten will, sollte zudem auf vertikalen und horizontalen Ausbau verzichtet werden. Simone Brander, Stadträtin der Stadt Zürich, und Pierre-Oliver Nobs, Gemeinderat der Stadt Freiburg, haben anschliessend ihre politische Sicht zu Tempo 30 dargelegt. Nachdem sie die Situation in ihrer jeweiligen Stadt vorgestellt hatten, teilten die beiden Volksvertreter dem Publikum ihre Eindrücke mit. Pierre-Oliver Nobs erinnerte unter anderem daran, dass der Schutz der Bevölkerung gegen den Lärm eine Pflicht des Bundes sei, und dass im Falle einer Blockierung der Einführung von Tempo 30 andere Mittel notwendig würden: Wenn es nicht gelinge, den von den Fahrzeugen ausgehenden Lärm zu reduzieren, müsse das Verkehrsaufkommen deutlich zurückgehen. Dann kämen Instrumente wie das Mobility Pricing ins Spiel. Simone Brander ihrerseits hob die anderen Vorteile von Tempo 30 hervor, die über die Lärmthematik hinausgehen: erhöhte Sicherheit, eine bessere Koexistenz der verschiedenen Fortbewegungsarten, ein Raumgewinn u.a. zu Gunsten von Grünflächen und auch ein besserer Verkehrsfluss.
Nach einer Theatereinlage der «Theaterkids», die eine strenge «Lärmpatrouille» spielten, die die Sache etwas lockerer angeht, nachdem sie alle Lärmquellen der Stadt eliminiert hatte, ging es weiter mit dem zweiten Themenblock des Nachmittags. Dieser widmete sich der Revision des Umweltgesetzes, dessen Behandlung das Schweizer Parlament in diesem Frühling begonnen hat. Caspar Schärer, Generalsekretär des Bundes Schweizer Architekten (BSA), eröffnete die Diskussion mit dem Hinweis auf die enge Verknüpfung zwischen dem Lärmschutz und der Raumplanung, besonders im Kontext der baulichen Verdichtung. Eine Anpassung der Baukultur werde unerlässlich: aus architektonischer Sicht sei es durchaus möglich, attraktive Wohnungen in Zonen zu bauen, die einem hohem Lärmpegel ausgesetzt seien. Die Lärmbekämpfung an der Quelle sei zwar unabdingbar, aber sie genüge nicht immer. Es sei zentral, die Menschen vor dem Lärm zu schützen. Auf diese Einführung technischer Natur folgte eine lebhafte politische Diskussion: Gabriela Suter, Nationalrätin und Präsidentin der Lärmliga Schweiz, und Beat Flach, Nationalrat und Rechtskonsulent des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins, haben ihre Sicht der laufenden Revision des USG dargelegt. Letzterer betonte, dass die Strasse kein leerer Raum sei: es handle sich vielmehr um einen Lebensraum, der in der Planungspolitik angemessen berücksichtigt werden müsse. Beat Flach meinte, der motorisierte Individualverkehr dürfe von der Schweizer Politik nicht länger als heilige Kuh behandelt werden und die gegenwärtige Situation im Bereich des Bauwesens sei für niemanden befriedigend. Gabriela Suter machte geltend, dass das Problem nicht bei den Lärmschutznormen liege, sondern vielmehr am Lärm selbst: Man dürfe auf keinen Fall vor dem Lärm kapitulieren, die Gesundheit der Menschen stehe an erster Stelle. Schliesslich waren sich die beiden trotz gewisser Divergenzen in einem Punkt einig: Die Massnahmen seien vorrangig an der Quelle zu treffen, durch Tempo 30 und lärmarme Beläge.
Der dritte und letzte Block war einem leichteren Thema gewidmet, das jedoch in den nächsten Jahren bestimmt an Aktualität gewinnen wird: mediterrane Nächte. Die Verschiebung der sozialen Aktivitäten und der Öffnungszeiten von Aussenbereichen von Restaurationsbetrieben bis später in die Nacht hat Auswirkungen auf den Lärmpegel, besonders in den Stadtzentren. Tom Steiner von der Hochschule Luzern stellte als erster Redner die Resultate einer Vergleichsstudie zur Bewirtschaftung von mediterranen Nächten in zehn Schweizer Städten vor. Eine erste Feststellung wurde schnell deutlich: Die von diesen Städten erlassenen Regeln und getroffenen Massnahmen sind sehr unterschiedlich, sei es im Hinblick auf den Umfang des betroffenen Gebiets, auf die Zeiten oder auf die Projektbegleitung. Dennoch sind einige Schlussfolgerungen möglich: Die verlängerte Öffnungszeit von Aussenbereichen führt nicht zu einem Anstieg von Lärmreklamationen, die Begleitmassnahmen (Sicherheitsdienst, Information, Hotline) werden nur wenig genutzt und die Beteiligten äussern insgesamt nicht den Wunsch, die Öffnungszeiten weiter auszudehnen. Dayana Mordasini, Delegierte Quartiersicherheit der Stadt Zürich, erinnerte bei der Schilderung des Pilotprojekts in Zürich an die Vorgeschichte dieses Versuchs: Der Impuls sei von einem politischen Vorstoss im Jahre 2019 ausgegangen. Die Umsetzung hätte dann aber wegen des Coronavirus auf den Sommer 2022 verschoben werden müssen. Bei der Bilanzierung habe die Stadt Zürich dann festgestellt, dass das Hotline-Dispositiv zwar wenig genutzt worden sei, sich aber positiv auf die Zusammenarbeit mit der Stadtpolizei ausgewirkt habe. Das Instrument der «Lärmpatrouillen» habe sich als sehr effizient erwiesen, sowohl bei den Wirtinnen und Wirten und Besucherinnen und Besucher, als auch bei den Anwohnenden und der Stadtpolizei. Der Versuch werde im Sommer 2023 wiederholt. Zwei Gemeinderätinnen, die für Sicherheit zuständig sind, zogen anschliessend Bilanz ihrer jeweiligen Stadt: Sonja Lüthi über St. Gallen und Eveline Salzmann über Thun. St. Gallen führte ein zweijähriges Pilotprojekt durch. Gemessen wurden unter anderem der Lärmpegel und der Zeitpunkt, an dem wieder Ruhe einkehrte. Sonja Lüthi stellte fest, dass die Wirtinnen und Wirte in St. Gallen wie in anderen Städten des Landes nicht den Wunsch äusserten, über die in der Versuchsperiode praktizierten erweiterten Öffnungszeiten hinauszugehen. Diese Zurückhaltung erkläre sich unter anderem durch den Personalmangel und den mangelnden finanziellen Anreiz für zusätzliche Verlängerungen der Öffnungszeiten. Thun, die Pionierstadt in der Sache der mediterranen Nächte, führte dagegen keine Lärmmessungen durch, sondern bezog sich bei der Beurteilung der Situation auf die Anzahl Lärmreklamationen. Bislang sei keine einzige Reklamation in direktem Zusammenhang mit der Ausweitung der Öffnungszeiten der Aussenbereiche eingegangen. Wie in St. Gallen solle es jedoch keine zusätzlichen Ausweitungen der Öffnungszeiten geben: Im Rahmen eines Gespräches am runden Tisch mit den verschiedenen Akteuren hätten sich die Wirtinnen und Wirte dagegen ausgesprochen, sowohl aus finanziellen Gründen, als auch um den erzielten und bis jetzt praktizierten Kompromiss nicht zu gefährden.
Zum Abschluss zog Adrian Borgula, Präsident der SKM, Bilanz über diese halbtägigen Debatten zum Thema Lärm. Grundsätzlich strebten die Städte nach mehr Autonomie, um bei der Lärmbekämpfung Massnahmen an der Quelle treffen zu können. Die Städte würden sich beim Bundesrat weiter in dieser Richtung bemühen. Diese Thematik werde die Städte in den kommenden Jahren beschäftigen, sowohl im Bauwesen als auch bei der Mobilität und Freizeitgestaltung: Sie hätten ihre Stimme zu erheben, um ihren legitimen Forderungen Gehör zu verschaffen, zum Wohle der Einwohnerinnen und Einwohner und