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Städte jenseits der Mobilität planen?

26. Juni 2023 – In Städten auf der ganzen Welt scheint sich eine urbane Mobilitätsplanung ganz «jenseits der Mobilität» zu entwickeln. Diese ist nicht darauf fokussiert, die Mobilität für wirtschaftliche Zwecke zu erleichtern und auch nicht darauf, die Mobilität im Interesse der Umwelt zu bewirtschaften.

Luca Bertolini, Professor für Stadt- und Verkehrsplanung an der Universität Amsterdam

 

Die Mobilität konzentriert sich vielmehr darauf, eine breite Auswahl urbaner Qualitäten zu fördern, die grundlegende menschliche Werte stützen, wie etwa die körperliche und geistige Gesundheit, sozialer Zusammenhalt und Inklusion, individuelle Diversität und Autonomie sowie den Menschen mit der ihn umgebenden natürlichen Umwelt in Einklang zu bringen.

 

Neuere Praktiken und Erkenntnisse heben hervor, dass Strassen in Städten in erster Linie als zentrale soziale öffentliche Räume begriffen werden sollten. Die Strassengestaltung und -verkehrsordnung sollten von der Kanalisierung des Verkehrs als Hauptleitsatz wegkommen. Andere Nutzungen der Strasse, wie etwa geselliges Beisammensein, Verweilen, Spielen oder Begrünung sollten gleichbehandelt werden, wenn nicht Vorrang erhalten. Ein zweites aufkommendes, ergänzendes Konzept ist die «Erreichbarkeit durch Nähe», die durch Begriffe wie «die 15-Minuten-Stadt» bekannt wurde. Der Fokus liegt dabei darauf, Zugang zu den alltäglichen Bedürfnissen zu gewähren, indem ein immer breiteres Angebot an Zielen in Geh- oder Velodistanz angesiedelt wird, statt die motorisierte Mobilität schneller oder billiger zu machen. Für Ziele jenseits einer vernünftigen Geh- oder Velodistanz wird der öffentliche Verkehr als bevorzugte Option gesehen, da er effizient mit Ressourcen umgeht und aufgrund seiner öffentlichen Beschaffenheit. 

 

 «Für Ziele jenseits einer vernünftigen Geh- oder Velodistanz ist der öffentliche Verkehr die bevorzugte Option.»

 

Um den öffentlichen Verkehr attraktiv zu machen, müssen nicht nur die öffentlichen Verkehrsnetze verbessert werden, sondern verstärkt auch wichtige Nebenziele um Knotenpunkte des öffentlichen Verkehrs herum angesiedelt werden. So verlangt es auch die transitorientiertee Entwicklung (TOD)  – für Städte, aber auch für Agglomerationen und auf dem Land. Es wird dennoch immer Zugänglichkeitsbedürfnisse oder -wünsche geben, die auch so nicht befriedigt werden können. Für solche Situationen könnte das Auto als ergänzende Option gelten. Abgesehen davon sollte dessen Nutzung jedoch entgegengewirkt werden. Beim Warentransport sollten die bestehenden Prioritäten umgedreht werden. Wir sollten in erster Linie bestrebt sein, den Warenverkehr ganz zu vermeiden, dann ihn auf nachhaltigere Transportarten zu verlagern und erst in letzter Konsequenz, ihn effizienter zu gestalten.

 

Obwohl neuere Praktiken und Erkenntnisse eine Vision darstellen und Orientierung bieten, bleibt Vieles noch im Dunkeln oder umstritten und kann erst durch Ausprobieren entdeckt und verhandelt werden. Es sollten deshalb bei allen Komponenten Tests durchgeführt werden. Das Erarbeiten von Zielvorstellungen und Ausprobieren sollten deshalb als eng miteinander verbunden betrachtet werden. Ersteres gibt Letzterem Richtung und Ziel vor, Letzteres liefert Erkenntnisse darüber, woran festzuhalten ist und was in Ersterem angepasst werden sollte – dies in einem kontinuierlichen, inkrementellen, weitreichenden Prozess mit offenem Ausgang.

 

Der hier dargelegte Standpunkt beruht auf folgender frei zugänglicher wissenschaftlicher Publikation: Bertolini, L. (2023). The next 30 years: planning cities beyond mobility?. European Planning Studies, 1-14. https://doi.org/10.1080/09654313.2023.2217855
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