Städte wollen Lärmschutz und Siedlungsentwicklung zusammenbringen
Monika Litscher, Vizedirektorin des SSV
Städte wollen und müssen sich nach Innen entwickeln und möglichst vielen Menschen ein attraktives, gesundes und gutes Leben und Wirtschaften ermöglichen. Dabei tragen die Städte mit der Bereitstellung von Wohnraum für die wachsende Bevölkerung wesentlich zu einer prosperierenden Schweiz bei. Lärm ist dabei eine grosse Herausforderung: Heute leiden über eine Million Menschen an den Folgen von Lärm, 90% davon in Städten und Agglomerationen. Das führt zu gesundheitlich und volkswirtschaftlich grossen Schäden. Der Lärm trifft auch die Bau- und Immobilienbranche, da der Wert von Liegenschaften geschmälert wird und zahlreiche Projekte blockiert sind.
Vorschlag Bundesrat: Stossrichtung genehm – Nachbesserung gewünscht
Der Zielkonflikt zwischen Lärmschutz und qualitativ hochwertiger Siedlungsentwicklung ist bekannt. Der Bundesrat schlägt im Rahmen der Revision des Umweltschutzgesetzes Lösungen vor, die der Ständerat in der kommenden Wintersession debattiert. Der Städteverband begrüsst grundsätzlich die Stossrichtung der Vorlage, hält sie aber für ungenügend. Es wird einseitig das Bauen über eine nachhaltige Stadtentwicklung gestellt. Damit diese vorangetrieben werden kann, fordert der Städteverband, dass der Lärmschutz integriert und der Lärm an der Quelle bekämpft wird (siehe Positionspapier Stadtentwicklung und Lärmschutz). Dazu braucht es zudem städtebaulich verträgliche Optimierungsmassnahmen. Nur eine solche Kombination kann der heutigen Realität der dichten Siedlungsräume gerecht werden. Damit werden Qualitätsansprüche des Stadtraums erfüllt und die Bewilligungsfähigkeit von Bauprojekten erhöht.
Verursacherprinzip anwenden, Grenzwerte einhalten
Die Städte fordern mehr Spielraum, damit sie selbst und einfach handeln können. Werden die Grenzwerte erst gar nicht überschritten, gewinnt der Stadtraum für alle, Anwohnerinnen und Gewerbebetreiber, an Lebensqualität. Dies ist notwendig, damit sich Städte nach innen entwickeln können. Nur so wird diese Transformation akzeptiert. Die Bewilligungsfähigkeit für Projekte wird zudem massiv erhöht. Denn weniger Lärmbelastung steigert nicht nur den Wert des Stadtraums, sondern auch der Immobilien. Gesetzlich wäre dieser Ansatz, den Lärm an der Quelle zu reduzieren, seit Mitte der 1980er Jahren im Umweltrecht als Verursacherprinzip verankert. Wäre – da die Umsetzung gerade bei der Reduktion der weitaus grössten Lärmquelle, dem Strassenverkehr, stockt. Die Städte fordern nun, dass sie, wenn die zuständige Behörde säumig ist, selbst betriebliche Massnahmen auf ihrem Territorium umsetzen können. Bekanntlich bringt eine Temporeduktion von 50 auf 30 km/h sehr grosse Erleichterung, und sie ist einfach, kostengünstig und effizient möglich (siehe Positionspapier SKM). Konkret heisst dies, werden die Grenzwerte nicht eingehalten, muss die zuständige Behörde oder wenn diese untätig ist, die Städte auf ihrem Territorium in erster Linie Massnahmen zur Emissionsbegrenzung an der Quelle anordnen können. Dies soll für Baubewilligungen und für Bauzonen gelten. Dafür ist ein zusätzlicher Erlass im Strassenverkehrsgesetz SVG notwendig. Die nun in der Ständeratskommission gestellten Minderheitsanträge in USG Art. 24 Abs. 3 und der weitere Erlass im SVG Art. 32 zielen in diese Richtung und sind zu unterstützen.
Ein Bündel an Massnahmen bringt Wohn- und Lebensqualität und spart Ressourcen
Ist es den Städten und Gemeinden möglich, einfach und ohne Gesuch die Tempolimits und somit den Lärm zu reduzieren, macht dies die laufenden Lärmsanierungen der Infrastruktur und Technik nicht hinfällig. Es braucht in vielen der sehr dichten Siedlungsräumen oft ein Bündel an Ansätzen. Die Stadt Fribourg kann beispielsweise erst mit den betrieblichen Massnahmen den Lärm in den Griff bekommen. Sie hat Tempo 30 seit Oktober 2023 auf etwa 60% all ihrer Strassen eingeführt (siehe Prozess und Information). Mit den schallabsorbierenden Belägen, die seit 2011 auf verschiedenen Strassenabschnitten verbaut worden sind, konnte der Lärm nicht genügend reduziert werden. Informativ ist auch der Strassenlärm 4D Viewer der Stadt Zürich. Er zeigt, welche Lärmreduktionsmassnahmen im Stadtraum in welcher Weise wirken, und dass es an gewissen Orten mehrere Massnahmen braucht. Für kleinere und mittlere Städte geht es oft um viel Geld, denn es lassen sich mit Temporeduktionen Kosten für Renovationen und teure, allenfalls städtebaulich fragliche Sanierungen einsparen (z.B. an der Bernstrasse in Burgdorf). Und, es lassen sich Ressourcen, Geld und Arbeitskräfte, für Gesuche und deren Bearbeitung seitens Gemeinde und Kantone sparen.
Städtebaulich adäquate Lärmoptimierung und Kompensationsmassnahmen
Genügen weder die Auflage zur Umsetzung des Grundsatzes Reduktion des Lärms an der Quelle noch die Gemeindezuständigkeit für betriebliche Massnahmen (d.h. vor allem Temporeduktion), plädieren die Städte für die folgenden, weiteren Schritte: die Lärmoptimierung und Lüftungsfensterpraxis sowie der Bundesratsvorschlag mit Kompensationsmassnahmen. Dabei kann bei den Baubewilligungen auf die Grundlagen zurückgegriffen werden, die von kantonalen und kommunalen Fachleuten der Planung und des Lärmschutzes gemeinsam mit dem BAFU im Rahmen der Revisionsvorbereitungen und als Antwort auf die Motion Flach 16.3529 erarbeitet worden sind. Damit werden die baurechtlichen Bestimmungen des Lärmschutzes so angepasst, dass eine hohe Baukultur möglichst rechtssicher umgesetzt werden kann. Denn für lebenswerte Städte – heute und in Zukunft – braucht es einen hochwertigen nachhaltigen Städtebau, ästhetisch attraktive Fassaden, schlau angeordnete Innenräume und Wohnungen sowie ruhige, attraktive Aussenräume. Diesen Ansprüchen genügen weder die vorliegende Anpassung des USG noch die Anpassungsvorschläge der Kommission. Der Städteverband plädiert deshalb dafür, auch bei den Baubewilligungen auf die Minderheitsanträge zu Art. 22 einzugehen. Sie basieren auf eben dieser gemeinschaftlich erarbeiteten Basis und versprechen damit auch Mehrheitsfähigkeit. Das heisst vereinfacht gesagt, dass es entweder bei jedem lärmempfindlichen Raum mindestens ein Fenster mit einer ruhigen Seite gibt oder wenn dies nicht möglich ist, ist für einen festgelegten Anteil der lärmempfindlichen Räume ein ruhiger lärmempfindlicher Raum und ein ruhiger Aussenraum zu garantieren.
Will Innenentwicklung in Städten gelingen, muss der Lärmschutz integriert werden
Im Sinne einer pragmatischen Verknüpfung zeigen die Städte mit ihrem Vorschlag, wie guter Lärmschutz im Siedlungsgebiet gelingen kann und muss. Mit der Gemeindekompetenz für betriebliche Massnahmen zur Reduktion des Lärms an der Quelle auf ihrem Territorium, falls die zuständige Behörde säumig ist, können die Städte einen massgeblichen Beitrag dazu leisten. Davon profitieren alle, Gesellschaft und (Bau-)Wirtschaft. Daher ist diese Gemeindezuständigkeit explizit im USG und auch im SVG zu verankern. In einem zweiten Schritt soll aus der Erfahrung zum Städtebau gelernt werden und es gilt die sorgfältig ausgearbeiteten Optimierungsmassnahmen in den Artikeln zur Baubewilligungen und Bauzonen gesetzlich zu verankern. Damit wird die Rechtssicherheit erhöht und die Innenentwicklung ermöglicht. Aus Sicht der Städte gibt es keinen Grund, Bauprojekten gegenüber dem Lärmschutz bzw. der Aufenthaltsqualität und Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner Vorrang einzuräumen. Es gilt vielmehr die Gelegenheit zu nutzen und Lärmschutz mit einer qualitativ hochstehenden Stadtentwicklung zu verbinden.