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«Der Fernwärmeverbund ist die grösste Vorlage in der Geschichte der Stadt Wil»

20. Februar 2024 – Die Bevölkerung der Stadt Wil hat in einer Volksabstimmung vom November 2023 mit grosser Mehrheit einem Kredit über 75 Millionen Franken zum Bau eines grossflächigen Fernwärmenetzes zugestimmt. Andreas Breitenmoser, Energiedirektor der Stadt, nimmt im Interview Stellung zum Projekt. Ein Argument für die grosse Unterstützung: «Die hohen Baukosten werden langfristig wieder eingespielt», sagt der Stadtrat von Wil SG.

Die Bevölkerung von Wil hat im November 2023 einen Kredit über 75 Mio. Franken zum Bau eines grossflächigen Fernwärmenetzes beschlossen. Weshalb ist dies wichtig für die Stadt?

Die Stadt Wil wird heute noch zu 90 Prozent fossil beheizt. Um die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Netto-Null senken zu können, liegt hier klar der grösste Hebel, der direkt durch die Stadt Wil und ihre Technischen Betriebe beeinflusst werden kann.

 

Über zwei Drittel sagten Ja, im Parlament gab es kaum Gegenstimmen. Wie erklären Sie sich die grosse Unterstützung für ein doch teures Projekt?

Der Fernwärmeverbund Wil ist die grösste Vorlage in der Geschichte der Stadt Wil. Sie wurde deshalb von zwei vorberatenden Kommissionen des Stadtparlaments durchleuchtet. Dabei konnte der Stadtrat alle offenen Fragen beantworten und die noch bestehenden Unklarheiten beseitigen, sodass das Geschäft bei den beiden Lesungen im Stadtparlament jeweils mit nur einer Gegenstimme verabschiedet wurde.

 

Die hohen Baukosten werden über die verkaufte Wärme langfristig wieder eingespielt. Dies hat neben den bekannten Klimaargumenten sicherlich auch zum positiven Ausgang der Volksabstimmung beigetragen.

 

Die Umstellung auf erneuerbare Fernwärme ist ein wichtiges Element zur Reduktion der Treibhausgasemissionen im Handlungsspielraum einer Stadt. Was spricht sonst noch für den Bau eines Fernwärmenetzes?

Die Technischen Betriebe Wil erwirtschaften noch immer einen nicht unerheblichen Teil ihrer Erträge als Betreiber eines grossen regionalen Gasnetzes. Hier kommt der Fernwärme zukünftig auch eine Ertragsersatzkomponente zu. Ausserdem kann die Abhängigkeit vom Ausland reduziert und gleichzeitig die lokale und regionale Wertschöpfung erhöht werden. Der Fernwärmeperimeter verfügt zudem über eine genügend hohe Wärmedichte, sodass hier den Liegenschaftsbesitzerinnen und Liegenschaftsbesitzern eine attraktive Wärmealternative zur Verfügung gestellt werden kann.

 

Der Bau des Netzes ist eine Mammutaufgabe. Mit welchen Herausforderungen rechnen Sie? Das finanzielle Risiko ist doch beträchtlich.

Das grösste Risiko sahen wir im zeitlichen Aspekt. Die Liegenschaftsbesitzerinnen und Liegenschaftsbesitzer haben nach der Volksabstimmung diesbezüglich nun aber Klarheit. Für fast 40 Prozent des geplanten Gesamtwärmeabsatzes liegen bereits unterzeichnete Absichtserklärungen vor, sodass das Absatzrisiko kalkulierbar wird. Speziell an diesem Projekt ist sicher auch die 5 Kilometer lange Transferleitung vom Standort der Kehrichtverbrennungsanlage in Bazenheid bis zur Stadt Wil.

 

Immobilienbesitzerinnen oder das Gewerbe werden sich umstellen müssen. Gibt es keine Vorbehalte gegen die neue Heizungsart, wenn z.B. ein Gasnetz stillgelegt werden muss? 

Ich bin der Überzeugung, dass die Klimaproblematik von weiten Kreisen der Bevölkerung und der Gewerbetreibenden anerkannt wird. Das hat auch die nationale Volksabstimmung vom 18. Juni 2023 zum Klima- und Innovationsgesetz gezeigt. Für all diese Personengruppen lösen wir mit dem Bau des Fernwärmenetzes ein persönliches Problem.

 

«Wir lösen mit dem Bau des Fernwärmenetzes ein persönliches Problem.»

 

Die Unterstützung für das Projekt kann während der Bauphase leicht schwinden, denn eine Baustelle vor dem Haus zu haben, ist für niemanden angenehm. Mit einer offensiven Kommunikation können die Technischen Betriebe Wil mit ihrer jahrelangen Erfahrung in anderen Projekten die Reklamationen aber sicher in engen Grenzen halten.

 

Wie die Stadt Wil mit ihrem 600 Kilometer langen Gasnetz in der Stadt und Region Wil umgehen wird, dazu wird in Kürze Klarheit bestehen. Die Gasnetzstrategie der Technischen Betriebe, die einen Komplettausstieg aus dem Gasnetz vorsieht, wurde am 15. Februar 2024 vom Stadtparlament verabschiedet.  Vorgesehen ist ein schrittweiser Ausstieg aus der Gasversorgung. Die vorberatende Kommission hat dieser Strategie einstimmig zugestimmt

 

Welchen Tipp haben Sie an Ihre Amtskolleginnen und -kollegen aus anderen Städten, die ähnliche Projekte planen?

Es hilft eindeutig, wenn man vom Projekt überzeugt ist und auf ein kompetentes Projektteam mit grossem Erfahrungsschatz zurückgreifen kann. Dann sollte man sich auch nicht scheuen, mit Städten zu sprechen, die schon länger Erfahrungen auf dem Gebiet der Fernwärme haben. Herzlichen Dank an dieser Stelle an die Städte und Werke von St. Gallen, Winterthur und Schaffhausen.

 

Andreas Breitenmoser (Die Mitte) sitzt seit Anfang 2021 im Wiler Stadtrat. Der 51-Jährige ist Vorsteher des Departements Versorgung und Energie und damit unter anderem zuständig für die Technischen Betriebe Wil (TBW).

 

Als unselbständig-öffentlich-rechtliches Energiedienstleistungsunternehmen im Eigentum der Stadt Wil beliefern die TBW mit ihren 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern regional über 40'000 Kundinnen und Kunden mit Strom, Gas/Wärme, Trinkwasser sowie Telekommunikation und versorgen sie mit innovativen Energiedienstleistungen. Weitere Infos zu den TBW erhalten Sie unter www.tb-wil.ch.

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