«Die Krönung der Arbeit»
Bellinzona hat im letzten Jahr den Mobilitätspreis «FLUX - Goldener Verkehrsknoten» für die Umgestaltung des Bahnhofplatzes gewonnen. Was waren die Ziele des Projekts?
Nachdem 2014 das ÖV-Angebot massiv ausgebaut und 2016 die Renovierung des SBB-Bahnhofs abgeschlossen wurde, konnten wir 2019 auch den Bau des neuen intermodalen Verkehrsknotens abschliessen – eine echte Verkehrsplattform, die das lokale öffentliche Verkehrsnetz und die private Mobilität über einen neuen Busbahnhof und neue Parkmöglichkeiten mit der Eisenbahn verbindet. Dieser Bereich von Bellinzona ist ein bedeutendes Zentrum des ÖV für den Ballungsraum und Eingangstor zum AlpTransit im Tessin. Das Pojekt war Gegenstand zur Neuordnung der Verkehrsströme, wodurch die Verbindungen verbessert wurden, über die man im Zug, im Bus oder mit dem Privatfahrzeug (inkl. Velo) gelangt. Für die Gemeinde stellte der intermodale Verkehrsknoten eine echte Revolution im Bereich des Verkehrsmanagements dar, und die Verleihung des nationalen Preises «FLUX – goldener Verkehrsknoten» bedeutete die Krönung der Arbeit, die in Synergie zwischen Gemeinde-, Kantons- und Bundesbehörden geleistet wurde.
Wie hat sich der Verkehr, die Lebensqualität und die Wirtschaft seither entwickelt?
Der intermodale Verkehrsknoten ermöglichte tatsächlich einen besseren Zugang zum öffentlichen Verkehrsnetz. Durch die Reduktion des motorisierten Individualverkehrs (MIV) wurde die Lebensqualität und die Umwelt gefördert. Besondere Aufmerksamkeit wurde dem Langsamverkehr (LV) gewidmet, indem ein dichtes Veloverleihnetze, Velostellplätze und die erste Velostation südlich der Alpen eingeführt wurden. Der Verkehrsknoten hat sich sofort als neues städtisches Highlight etabliert, das mehr Reisende – einschliesslich Touristen – in die Stadt bringt und so den potenziellen Kundenkreis für den lokalen Handel vergrössert.
Welchen Effekt hat das Projekt Bahnhofplatz auf den Modal Split?
Mit der Inbetriebnahme des Ceneri-Basistunnels 2020 hat der Verkehrsknoten dazu beigetragen, dem ÖV einen entscheidenden Impuls zu verleihen, was zu einer Verdopplung der täglichen Benutzer des Bahnhofs Bellinzona führte.Die Auswirkungen waren auch deshalb so stark, da im Zuge des Umbauprojekts auch das Angebot des öffentlichen städtischen Personenverkehrs ausgebaut wurde. Der Modal Split hat sich damit zugunsten des ÖV und des Langsamverkehrs verbessert: Der MIV-Anteil, der im Jahr 2012 über 70 % lag, ist heute im Bezirk Bellinzona auf 64 % gesunken. Dies ist ein gutes Zeichen dafür, dass das Ziel des derzeit ausgearbeiteten Agglomerationsprogramms der 5. Generation erreicht werden kann, bis 2040 eine weitere Erhöhung des Anteils des ÖV (12 %) und des LV (35 %) und somit eine MIV-Quote von maximal 53 % zu erzielen.
Bellinzona verfolgt eine ambitionierte Velostrategie: Bis 2040 soll sich der Anteil der Velofahrer/-innen am Verkehr auf 6,4 Prozent verdoppeln. Was sind die wichtigsten Massnahmen?
Bellinzona hat im 2021 aufgestellten Kommunalen Aktionsplan (PAC) das Ziel festgelegt, sich von einer noch eher am Auto orientierten Stadt zu einer Velostadt zu entwickeln. Als erstes Instrument wurde der Kommunale Radverkehrsplan (PMC) erstellt, der Investitionen von über 30 Millionen Franken innerhalb der nächsten 15 Jahre vorsieht: neue Radverkehrs- und Fussgängerflächen, Velostrassen, neue Fussgängerbrücken, die Einführung von Tempo 30 entlang einiger wichtiger Stadtstrassen sowie Eingriffsstandards für das Strassennetz, um die Sicherheit und Attraktivität der Velofahrerinnen und Velofahrer sicherzustellen.
Sie sitzen auch im Nationalrat. Inwiefern nehmen Sie bzw. können Sie in Bern Einfluss nehmen, damit sich die Rahmenbedingungen für Bellinzona verbessern? Haben Sie ein Beispiel?
Während der ersten Monate der Legislatur in Bern war ich tatsächlich auch noch Vizestadtpräsident von Bellinzona, ein Amt, das ich dann mit den Kommunalwahlen am vergangenen 14. April abgegeben habe, da ich mich nicht zur Wiederwahl gestellt hatte, und ich übe derzeit weiterhin noch einige zusätzliche Funktionen aus, wie zum Beispiel den Vorsitz der regionalen Verkehrskommission. Die Synergien sind offensichtlich, und auch die Beziehungen zu den Bundesbehörden und -unternehmen (im Bereich Verkehr denke ich insbesondere an das Bundesamt für Strassen, das Bundesamt für Verkehr und die SBB) sind sicherlich häufig nützlich, um mehr Gehör und Informationen aus erster Hand zu haben.
Wie wird die Verkehrssituation in Bellinzona in 20 Jahren aussehen?
Die Modelle sehen einen stetigen Anstieg des Mobilitätsbedürfnisses voraus, auch beim motorisierten Individualverkehr (MIV). Es wäre also wünschenswert, wenn es gelingen würde, diesen Anstieg in Grenzen zu halten und zu steuern, indem weiterhin wertvolle Alternativen entwickelt werden, so dass man sich im Sinne der freien Wahl des Verkehrsmittels für bestimmte Bedürfnisse immer mehr in Richtung kollektive oder sanfte Mobilität orientiert.
Simone Gianini, 48 Jahre, ist verheiratet und Vater von drei Kindern, Mitinhaber einer Anwalts- und Notariatskanzlei mit Sitz in Lugano, und war von 2012 bis 2024 Stadtrat von Bellinzona (ab 2021 Vizestadtpräsident) und Leiter des Departements Raum und Mobilität, zuständig für Raumplanung, privates Bauwesen, Kataster und Mobilität, öffentlicher und privater Verkehr.
Seit 2012 ist er Präsident der regionalen Verkehrskommission des Bezirks Bellinzona, und am 22. Oktober 2023 wurde er in den Nationalrat gewählt. |