FR

Wohnzimmer Stadt

Der öffentliche Raum ist ein Spiegel unserer Gesellschaft und die digitale Stadt das farbige Rauschen dazu. Lange Zeit dachten wir so über Städte: Auf der Strasse treffen wir die (noch) unbekannte Nachbarin, im Stadtpark lernen wir die andere Familie mit den kleinen Kindern kennen oder ärgern uns über laute Jugendliche und auf Plätzen kämpfen wir für politische Rechte. Die digitale Aneignung der Welt hat dies verändert: Wir bestellen im Internet, wir haben das Flanieren verlernt und schauen nur noch auf unser Smartphone. Nachbarn wurden zu Uninteressanten statt Unbekannten, Jugendliche bleiben abends lieber zuhause.

Doch etwas ist neu und gut: Wir organisieren mit Apps und mit Klebern am Briefkasten Tauschsysteme für Haushaltsdinge, in anonymen Neubauquartieren organisieren sich Freizeitgruppen über Facebook, Graffiti ist eine Kunst, die sich über Memes digital vervielfacht. Was Jugendliche schon immer lebten, wird für alle Wirklichkeit: Die Stadt wird zum Wohnzimmer. Die Stadtentwicklung entdeckt die Vielfalt der Bänke: Baumdächer, Sitzinseln oder die Sofalandschaft von Pippilotti Rist in St. Gallen laden zum Verweilen ein. «Smart City Labs» wie in Basel simulieren Verkehrssicherheit für öffentliche Räume, digitale Partizipation erreicht neue Zielgruppen, ermöglicht gestaffelte Teilhabe ausserhalb der Arbeitszeit oder live-Übersetzung. Computerspiele wie Equilibre – Ville de demain stellen komplexe Verfahren der Stadtplanung bildhaft dar und mit digitalen Tools gestalten Jugendliche ihren Raum.

 

In Renens steht ein Bahnhofplatz, der die Vielfalt des Sitzens, Zuschauens und Wartens ermöglicht. Der Rayon Vert spielt eine Schlüsselrolle: Die Brücke verbindet als Wahrzeichen Fussgänger:innen mit Tram, Metro und Regionalbahnen. Sie zeigt, dass öffentliche Räume Knoten zu Städten und Landschaften bilden. Mit der App Renens en Mouvement waren die Stadtbewohnerinnen und -bewohner Schritt für Schritt beim Bauprozess dabei – von der temporären Begegnungszone aus gemalten Blättern bis zu Vidéos.

 

Stadtplatz und Strasse waren schon immer Räume für Erzählungen über unser Zusammenleben: Konjunkturen, Krisen und Wandel wurden erzählt und erfunden. Die Strasse als Abenteuerraum für Kinder in der Nachkriegszeit, unterirdische Shoppingmeilen mit glänzenden Oberflächen in den 1980er Jahren, die Aneignung der Stadt mit Graffitis in den 1990ern und Street Art als Trendkultur der 2000er. Ausgespart in Bildern des Urbanen wurden Ausgegrenzte, Schmutz und Auseinandersetzungen um das ungleich verteilte Recht auf Stadt: Der Raum ist ein Buch, das wir im Alltag erzählen und schreiben.

 

 

Gabriela Muri

  ·  
+41 78 739 78 16
  ·  
info@aegerter-holz.ch