Tempo 30 im Faktencheck – Auswirkungen auf Verkehrssicherheit, Reisezeiten und Ausweichverkehr
Bettina Zahnd ist Leiterin Sicherheit im Strassenverkehr bei EBP Schweiz AG.
Immer mehr Städte setzen innerorts auf Tempo 30 als wirksames Instrument für eine sichere, leise und menschengerechte Mobilität. Diverse Studien aus dem In- und Ausland belegen, dass sich reduzierte Geschwindigkeiten positiv z.B. auf die Verkehrssicherheit und die Aufenthaltsqualität auswirken und dass den nicht erwünschten Auswirkungen z.B. auf Reisezeiten und Ausweichverkehr mit Begleitmassnahmen entgegengewirkt werden kann.
Weniger Lärm, mehr Aufenthaltsqualität
Eine Reduktion von 50 auf 30 km/h senkt die durchschnittlichen Lärmpegel um rund 2 bis 4 Dezibel. Diese Werte bedeuten für Anwohnende eine deutlich wahrnehmbare Entlastung – besonders in den Nachtstunden, wenn einzelne Lärmspitzen entscheidend für die Schlafqualität sind. Auch die gleichmässigere Fahrweise bei tieferem Tempo reduziert störende Beschleunigungsgeräusche. Damit verbessert sich die Aufenthaltsqualität im unmittelbaren Strassenraum. Das zeigt auch die im Frühjahr 2025 im Auftrag der Städtekonferenz Mobilität durchgeführte Befragung: wer an einer Tempo-30-Strasse wohnt, will nicht zurück zu Tempo-50.
Deutlich geringeres Unfallrisiko
Sehr deutlich fällt auch der Effekt auf die Verkehrssicherheit aus. Zahlreiche Untersuchungen bestätigen, dass sich bei 30 km/h die Zahl schwerer Unfälle reduziert. Bei dieser Geschwindigkeit verkürzt sich der Anhalteweg um rund 50 Prozent gegenüber Tempo 50, die Überlebenschancen bei einem Aufprall steigen markant. Besonders Kinder, Senioren und Seniorinnen sowie Velofahrende profitieren: Sie werden früher wahrgenommen und sind in Konfliktsituationen besser geschützt. Auch die Häufigkeit von Unfällen wird reduziert, da Autofahrer und Autofahrerinnen auf derselben Strecke bei geringerer Geschwindigkeit mehr Zeit haben, Gefahren zu erkennen.
Die subjektive Sicherheit nimmt ebenfalls zu – ein zentraler Faktor, damit sich Menschen häufiger zu Fuss oder mit dem Velo im Alltag bewegen. Damit trägt Tempo 30 nicht nur zur Reduktion von Unfällen bei, sondern stärkt auch die aktive Mobilität.
Reisezeiten: in der Realität ist man kaum länger unterwegs
Ein häufiges Gegenargument lautet, Tempo 30 verlängere Fahrzeiten spürbar. Berechnungen auf Basis von Realdaten aus dem Kanton Luzern zeigen jedoch ein anderes Bild: Auf innerstädtischen Strecken zu Stosszeiten ist kaum mit einer Verlängerung der Reisezeit zu rechnen, da bereits heute die signalisierte Höchstgeschwindigkeit selten erreicht wird. Zu Nebenverkehrszeiten in ländlichen Gebieten ist damit zu rechnen, dass der motorisierte Individualverkehr bei einer konsequenten Umsetzung von Tempo 30 auf Hauptsstrassen in den Kernzonen aller Dörfer im Durchschnitt 5 bis 7 Prozent länger unterwegs ist. Das entspricht auf einer 25-Kilometer-Fahrt etwa ein bis zwei Minuten.
Für den öffentlichen Verkehr müssen die Auswirkungen detaillierter untersucht werden. Im Regelfall sind nach Einführung von Tempo 30 keine nennenswerten Fahrplananpassungen notwendig. Eine konsequente Priorisierung des öffentlichen Verkehrs z.B. mittels Ampelsteuerung kann mehr Zeit einsparen, als durch die geringere signalisierte Höchstgeschwindigkeit verloren geht.
Kein massiver Ausweichverkehr messbar
Die Frage, ob tiefere Tempolimits Verkehr in andere Quartiere verdrängen, ist zentral für die Akzeptanz. Auf Basis der bisherigen Erfahrungen und auf Basis vorhandener Studien ist in der Regel kein Ausweichverkehr festzustellen. Der Hauptgrund dafür ist, dass die Quartierstrassen ebenfalls mit maximal 30km/h befahren werden dürfen, die Strecke jedoch meist länger ist und auf Quartierstrassen der Rechtsvortritt die Fahrt zusätzlich abbremst. Wird trotzdem Ausweichverkehr befürchtet, sind ausreichend Begleitmassnahmen bekannt und erprobt, die den Ausweichverkehr eindämmen.
Sicherheit auch im Einsatzfall gewährleistet
In der öffentlichen Diskussion wird gelegentlich die Befürchtung geäussert, Einsatzfahrzeuge könnten durch tiefere Tempolimits gebremst werden. Dank der angepassten Gesetzgebung wird im Falle von Geschwindigkeitsübertretungen nicht die Differenz der gefahrenen Geschwindigkeit zur signalisierten Höchstgeschwindigkeit berücksichtigt, sondern lediglich die Differenz zur Geschwindigkeit, die für den Einsatz angemessen gewesen wäre. Mit dieser Regelung wird der besonderen Situation von Einsatzkräften Rechnung getragen.
Fazit: Grosse Wirkung bei geringen Nachteilen
Der Faktencheck zeigt: Tempo 30 verbessert die Verkehrssicherheit signifikant, reduziert Lärm und erhöht die Lebensqualität – ohne gravierende Einbussen bei Reisezeiten. Befürchteter Ausweichverkehr bleibt aus, wenn das Netz ganzheitlich geplant wird. Tempo-30 auch auf Hauptstrassen in Kernzonen von Städten und Dörfern kann den Strassenraum sicherer, ruhiger und lebenswerter machen – und damit zum wirksamen Instrument einer zukunftsfähigen Mobilität werden.
