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«Einige Städte haben noch aufzuholen»

9. September 2021 – Interview mit Philipp Kutter, Stadtpräsident von Wädenswil, Nationalrat, Vorstandsmitglied beim Schweizerischen Städteverband und Co-Präsident von «Alliance Enfance».

Die Politik der frühen Kindheit umfasst neben der familienergänzenden Kinderbetreuung eine breite Palette von Angeboten. Wo steht Wädenswil in Bezug auf den Frühbereich?

Wädenswil verfügt über ein breites Angebot für die frühe Kindheit. Ein Teil der Angebote ist privat, ein Teil staatlich. Es gibt eine schöne Anzahl an Kitas, Spielgruppen, eine Tagesfamilien- und eine Babysitter-Vermittlung. Familien können ausserdem von verschiedenen Begegnungs- und Beratungsangeboten profitieren. Seit drei Jahren gibt es inzwischen ein «Netzwerktreffen frühe Kindheit». Insgesamt liegen wir mit unserem Angebot im vorderen Mittelfeld, schätze ich. Natürlich gibt es noch zu tun. So brauchen wir zum Beispiel noch mehr Angebote, die sich an Kinder richten, die nicht gut Deutsch können.

 

Welches sind die Herausforderungen im Bereich der frühen Kindheit für eine Kleinstadt wie Wädenswil?

Eine Herausforderung liegt darin, dass wir nicht alle Familien erreichen. Speziell solche mit hohem Unterstützungsbedarf sind schwierig zu «packen», oft aufgrund kultureller Hürden. Alleinerziehende wiederum haben oft weder die Zeit noch das Geld, um von solchen Angeboten zu profitieren. Um diese besser zu erreichen, haben wir vor drei Jahren ein wegweisendes, aufsuchendes Pilotprojekt mit der AOZ eingeführt. Es richtet sich gezielt an benachteiligte Familien. Und seit rund zwei Jahren gibt es eine aufsuchende Sozialarbeit in den Quartieren. Sie richtet sich nicht nur an junge Familien, aber natürlich auch. Eine Herausforderung sind zudem die hohen Kita-Tarife und die fixen Öffnungszeiten der Betreuungsangebote, die oft nicht zu den Anforderungen des Arbeitsmarkts passen.

 

Welches sind generell die Herausforderungen im Frühbereich für die Schweizer Städte?

Das hängt von der Ausgangslage ab. Einige Städte haben beim Angebot an familienergänzender Kinderbetreuung noch aufzuholen. Parallel dazu, oder wo das Angebot schon dem Bedarf entspricht, rückt die Steigerung der Qualität in den Vordergrund. Das betrifft Kitas, aber auch andere Angebote. Wichtige Hebel sind hier die Aus- und Weiterbildung der Fachpersonen und die Vernetzung unter den Angeboten. Die grosse Herausforderung ist, dass kein Kind durch die Maschen fällt. Die andere grosse Baustelle sind die Elterntarife für die familienergänzende Kinderbetreuung. Wenn wir einen chancengleichen Zugang wollen, müssen wir sie deutlich senken. 

 

Sie sind auch Nationalrat und Co-Präsident von Alliance Enfance. Wie sieht eine gute Politik der frühen Kindheit in der Schweiz aus?

Eine gute Politik der frühen Kindheit braucht substanzielle Investitionen. Der gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Nutzen ist bekannt und belegt. Die eingesetzten Mittel im Frühbereich sind also nicht einfach Kosten, sondern sie fliessen in irgendeiner Form wieder an die Gesellschaft zurück. Zu definieren ist nun möglichst konkret, welche föderale Ebene wofür zuständig ist und wie die Mittel fliessen sollen. Ziel muss sein, die Chancengerechtigkeit zu erhöhen und die Qualität der Angebote zu verbessern. Gleichzeitig wird die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie die Gleichstellung der Geschlechter verbessert und die Wirtschaft erhält zusätzliche Fachkräfte, die in vielen Branchen fehlen.

 

«Es braucht die Unterstützung des Bundes»  

 

Welche Rolle soll der Bund in der Politik der frühen Kindheit spielen?

Die Rolle des Bundes ist heute subsidiär. Das kann und soll so bleiben, denn Gemeinden und Kantone kennen den Bedarf und können massgeschneiderte Angebote im Frühbereich schaffen. Es braucht aber die Unterstützung des Bundes. Ich sehe hier vier Bereiche: Der Bund kann Kantonen und Gemeinden helfen, ein vielfältiges und dichtes Angebot in der frühen Kindheit zu schaffen. Er sollte auch die Qualitätsentwicklung vorantreiben. Um allen Kindern einen chancengerechten Zugang zu ermöglichen, sollte er zur Senkung der Elterntarife beitragen. Schliesslich kann er den Transfer von Wissen zwischen Forschung und Praxis sowie die Politikentwicklung auf Basis von aussagekräftigen Daten erleichtern.

 

Philipp Kutter (46) ist seit 2010 Stadtpräsident von Wädenswil ZH und seit 2018 Nationalrat. Er ist Mitglied der «Mitte», Vorstandsmitglied beim Schweizerischen Städteverband und Co-Präsident von «Alliance Enfance». Philipp Kutter hat an der Uni Zürich Geschichte, Publizistik und Politologie studiert. Er arbeitete während vielen Jahren als Journalist, danach führte er gemeinsam mit seiner Frau ein Kommunikationsbüro.

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