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Wenn aus einigen Tummelplätzen des Nachtlebens viele werden

26. Mai 2021 – Städte sind traditionell Bühnen, in denen viele die Nacht zum Tag machen. Das war und ist in der Pandemie nicht anders – geschlossenen Restaurants, Bars und Clubs zum Trotz. Ventil war und ist der öffentliche Raum, Freiluftpartys und Autoposer ärgern Anwohnende. Offen ist, ob das Nachtleben nach der Krise wieder kalkulierbarer wird.

Dayana Mordasini, Delegierte für Quartiersicherheit bei der Stadt Zürich

 

Eine Pandemie ist wie die Antithese zur Stadt, besonders zum Nachtleben: Hier ist es eng, verschwitzt. Die Leute tanzen und singen auf der Tanzfläche. Sitzen eng beisammen beim Barbesuch oder im Kino. All das ist tabu angesichts eines aggressiven Virus. Das städtische Nachtleben war denn auch rasch im Fokus der Öffentlichkeit und der Politik und im Spannungsfeld zwischen "lasst sie feiern!" und "wo ist der nächste Superspreader Laden?" Die Auswirkungen des offiziell toten Nachtlebens tragen wir alle.

 

Im Zentrum statt in der Bar am Stadtrand

Während die meisten Menschen, auf die Kernfamilie geschrumpft, zuhause geblieben sind, ertrug es ein Teil der Bevölkerung schlecht, dass es noch Leute gab, die sich erlaubten zu feiern, Sex gegen Bezahlung zu haben oder sich bei einem feinen Essen in den Restaurants zu treffen. Die Gastrobranche hat im Vergleich zu den Clubs und der Prostitution in Zürich am längsten offenbleiben können, wenn auch zum Teil unter Bedingungen, die das Geschäft nicht mehr lohnenswert machten.

Im vergangenen Dezember wurde dann definitiv auch dieser Bereich geschlossen, und selbst die 24-Stunden-Shops mussten in Zürich um 22.00 Uhr schliessen. Übrig blieben die Grossverteiler und Take-Away-Angebote.

 

Der öffentliche Raum wurde zum Restaurant, zum Club und zum Laufsteg unter freiem Himmel. Vor allem für die junge Bevölkerung zwischen 15 und 30. Statt in der Shisha-Bar am Stadtrand war sie plötzlich im Stadtzentrum und am Seebecken zugegen. Der Nutzungsdruck auf den öffentlichen Raum stieg im Jahr 2020 enorm an – bei Tag und bei Nacht.

 

Der Sog der Stadt

Ohne Nachtnetz verliessen die grossen Massen die Stadt mit dem letzten öffentlichen Verkehrsmittel. Jene, die für den Abend aus der Agglomeration, dem Kanton oder gar aus Süddeutschland nach Zürich angereist sind. Weil es in ihrem Dorf noch enger, die soziale Kontrolle noch strenger und das Leben noch langweiliger ist. Und weil über die sozialen Medien verbreitet wurde, dass es in der Stadt "abgehe". Der Sensationsdurst ist gross, der Hunger danach, sich unter Gleichaltrigen zu treffen, ebenso.

 

Jugendliche – von der Krise getroffen

Die jungen Erwachsenen, die klassischen Nachschwärmer und Nachschwärmerinnen, sind denn auch stark von den Folgen der Pandemie betroffen. Das führt auch zu psychischen Problemen und zu Zukunftsängsten. Und dazu, dass Jugendliche vermehrt aus Langeweile konsumieren: Alkohol, Cannabis, aber auch Mischkonsum mit Tranquilizer-Medikamenten. Vor allem die präventiven Einrichtungen waren dabei besonders gefordert.

 

Sie versuchten, Angebote zu schaffen, die Jugendlichen ein soziales Netzwerk bieten. Ein Netzwerk, in dem herausfordernde Situationen aufgefangen und bearbeitet werden können. Und das gleichzeitig Schutzkonzepte beachtet, die es erlauben, die Ansteckungszahlen positiv zu beeinflussen und Jugendliche für die Massnahmen zu sensibilisieren. Das braucht Geduld, Einfühlungsvermögen und vor allem Ressourcen: Gespräche brauchen Zeit. Mobile und aufsuchende Jugend- und Gassenarbeit wird wohl über die Krise hinaus ihre Wichtigkeit beibehalten.

 

Lärm und Covid – Rekordzahlen

Die Folgen dieses grossen Drucks auf den öffentlichen Raum spüren die Städte – Zürich ist hier nur ein Beispiel –­ seit einem Jahr, auch die Zahlen machen es deutlich. Statt in vollen Clubs sind die Menschen in den Quartieren, Parks, auf Schularealen und auf öffentlichen Plätzen. Ausgerüstet mit Essen und Trinken und mit tragbaren Lautsprechern feiern sie unter freiem Himmel. Die Nachbarn stört das – offenbar mehr als in den vergangenen Jahren. In der Stadt Zürich haben die Lärmklagen um 50 Prozent zugenommen und sind auf über 9000 Meldungen angestiegen. Längst nicht alle können bearbeitet werden.

 

Es ist aber nicht nur der Lärm aus dem öffentlichen Raum, der stört. Auch der Lärm auf den Dachterrassen, aus Wohnungen und Balkonen führt vermehrt zu Klagen. Rasch wird zum Telefon gegriffen und die Polizei angerufen. Nicht immer ist klar, was mehr stört: der Lärm oder die Vermutung, da seien zu viele Leute zusammen am Feiern, – entgegen der geltenden Regeln.

 

Noch nie wurden von der Polizei so viele Wegweisungen ausgesprochen. Ein Mittel, das bis anhin nur zurückhaltend angewendet wurde. Hinzu kommen die Bussen wegen Verstössen gegen die Covid-Verordnung, die zuerst nur sehr selten, mit der Zeit aber mehr und mehr verhängt wurden. 

 

Soll der öffentliche Raum unattraktiv werden? Es scheint, gerade die Pandemie hat unser Bewusstsein für die Qualität von Klang und Raum neu geschaffen. Wer Ruhe sucht, findet sie oft auch im Wald nicht. Die Frage, wie laut und leise die Stadt wo und wann sein darf und soll, bekommt neue Aktualität. Die verbindlichen Konventionen werden gerade neu ausgehandelt, damit wir die Balance wiederfinden.

 

Posen auf der Strasse statt im Club

Hinzu kommt der Strassenlärm; er ist eine grosse Belastung, soll weniger werden und wird in der Pandemie nun plötzlich mehr. Seit Clubs geschlossen sind, treffen sich vermehrt auch Freundinnen und Freunde des Autos auf der Strasse. Im eigenen oder geliehenen Auto, dem Superwagen mit Doppelauspuff und V12 Motor. So kommt es, dass an einem Wochenende am Abend in Zürich nicht nur der Utoquai mit feiernden Gruppen gefüllt ist, sondern daneben auch die Strassen mit diesen Boliden verstopft sind. Laut und lauter und aufs Posing bedacht.

 

Und mitten drin die Polizei, die die Szenen beobachtet, Gespräche führt, eingreift. Die Stossrichtung ist klar: Die Stadt Zürich will nicht attraktiv sein für die Autoposing Szene. Ist es aber ungewollt dennoch. Denn wo es ein Publikum gibt, lohnt sich der Auftritt.

 

Alternativen sind gefragt

Es ist zu hoffen, dass sich die Situation durch die Reaktivierung des Nachtlebens wieder beruhigt. Dass die lauten Ausgehfreudigen in die Clubs, Restaurants, Kinos, Theater und Keller eintauchen und dort nachholen, was sie ein Jahr lang verpasst haben.

 

Es kann aber auch sein, dass den Leuten die Lust auf das Tanzen und Schauen und Klatschen in engen, abgeschlossenen Räumen vergangen ist. Dann braucht es Alternativen, wie der heiss umkämpfte öffentliche Raum in der Nacht genutzt werden und dabei das Gleichgewicht zwischen einer lebendigen Stadt und den Ruhebedürfnissen ihrer Bewohnerinnen und Bewohner erhalten bleiben kann.

 

In der Stadt Zürich versucht das Sicherheitsdepartement dieses Jahr neue Konzepte umzusetzen und prüft diese an den bewilligten Jugendpartys im Freien: Sogenannte «Silent Partys» (via Kopfhörer) und «Boom Partys» (an bestimmten Orten ist das Abspielen von Boom Boxen erlaubt) sollen mehr Möglichkeiten für Freiräume schaffen und gleichzeitig weniger Lärm verursachen.

 

Solche Anlässe werden versuchsweise auch auf Plätzen in der Innenstadt bewilligt, die sonst leer sind. Zudem wird versucht, durch Freigabe von günstig gelegenen Flächen, sensible Gebiete mit einem hohen Wohnanteil zu entlasten.

 

Lehren aus der Krise

Diese Krise lehrt uns zwar, dass der Dichtestress durch eine Pandemie noch verstärkt wird, dass wir aber auch Neues wagen dürfen. Der öffentliche Raum ist beschränkt und wird tendenziell knapper, unsere Kreativität für unkonventionelle Lösungen ist gefragt. Im Bewusstsein, dass sowohl das Bedürfnis nach Lärm und die Stille da sind und es eine Herausforderung ist, diesen Widerspruch auszuhalten.

 

Die Krise scheint zu bestätigen, was die Nachtschwärmerinnen und Nachtschwärmer schon länger behaupten: Das Nachtleben mit seinen Angeboten habe eine beruhigende Wirkung auf die Gesellschaft, und es sei einfacher, mit klar definierten Lokalen und Zonen umzugehen, als wenn plötzlich überall auf den Strassen und Plätzen einer Stadt gefeiert wird. Die Zeit wird zeigen, ob die These stimmt.

 

«Nach Corona. Stimmen aus den Städten» erscheint jeden Mittwoch. Jede Woche äussern sich Exponentinnen und Exponenten aus Politik und Verwaltung sowie Fachpersonen, die für Städte oder zusammen mit Städten tätig sind, in der Textreihe «Nach Corona. Stimmen aus den Städten» dazu, was Schweizer Städte seit der Corona-Krise umtreibt (Abonnieren).

 

Dayana Mordasini ist Delegierte für Quartiersicherheit bei der Stadt Zürich. Sie leitet die Arbeitsgruppe Alltagslärm, eines der drei Tätigkeitsfelder im Rahmen der im Dezember durch den Stadtrat verabschiedeten Lärmschutzstrategie. Ziel sind Handlungsempfehlungen zu erarbeiten und Antworten zu bekommen auf die Frage, wie laut und leise die Stadt Zürich wann und wo sein darf.

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