Corona und städtische Finanzen: Finanzausgleichsreformen sind nötig
Michael Aebersold, Direktor für Finanzen, Personal und Informatik der Stadt Bern
Das Bild der Schweiz ist ein einfaches: kühle Bergseen, zerklüftete Berge und Täler, Kühe, saftiges Gras, Milch, Käse und Schokolade. Die Schweizerinnen und Schweizer haben nach Corona noch grössere Sehnsucht nach der Natur und abgesehen von Uhren haben die Klischees über die Schweiz einen ländlichen Bezug. Die Realität sieht anders aus. Die Schweiz ist ein urbanes Land. Rund drei Viertel der Bevölkerung leben in Städten oder Agglomerationen. Mit ihrer dynamischen Entwicklung sind sie für das Florieren der Schweiz verantwortlich. Die Städte sind wirtschaftlich, kulturell und gesellschaftlich die Taktgeberinnen. Hier konzentrieren sich Unternehmenszentralen und Aktivitäten mit hoher Wertschöpfung, wissenschaftliche Institutionen von Weltformat, die permanent neue Innovationen schaffen. Auch die Kultur ist eng mit den Städten verbunden; die meisten kulturellen Einrichtungen von internationaler Bedeutung finden sich im urbanen Raum.
Die Städte sind zudem gesellschaftliche und politische Laboratorien: Sie entwickeln und erproben Lösungen für aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen. Anfangs häufig kritisch beäugt, werden Pionierlösungen der Städte nicht selten auf die kantonale und nationale Politik übertragen und zum politischen Mainstream. Dass sich die Politik heute schweizweit unter anderem mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder mit Nachhaltigkeitsthemen auseinandersetzt, bezeichne ich als Verdienst der progressiven Städte.
Von der A- zur B-Stadt und C-Stadt?
Noch bis in die 1990er Jahre machte das Schlagwort der A-Städte die Runde (Arme, Arbeitslose, Ausländer). Familien zogen ins Grüne, Immobilienpreise in Zentren sanken und nicht nur Bern schrieb rote Zahlen. Doch die heute meist links-grün regierten grossen und mittleren Städte sind anpassungsfähig, wissen sich neu zu erfinden. Urbane Stadtentwicklung, Klima-, Verkehrs- und Wohnpolitik haben die Lebensqualität in den Städten erhöht. Heute sind die Städte so attraktiv, dass vielköpfige Familien lieber in kleinen Wohnungen in der Stadt leben anstatt im eigenen Haus auf dem Land. Die B(oom)-Stadt hat die A-Stadt ersetzt.
Und dann kam Corona. Bund, Kantone und Gemeinden waren und sind gefordert, die Krise zu meistern. Die grössten Herausforderungen für die öffentliche Hand waren der Schutz der Gesundheit bei gleichzeitiger Gewährleistung der vitalen Funktionen (Nahrungsmittel, Gesundheit, öV, Strom usw.) und der finanziellen Unterstützung, um die Existenz der vom Lockdown betroffenen Menschen und Unternehmen sicherzustellen. Bund, Kantone und Städte tun ihr Bestes in und nach der Corona-Krise. Die Hauptverantwortung liegt beim Bund, subsidiär bei den Kantonen. Aber auch die Städte sind gefordert: Mehrausgaben und Mindereinnahmen machen ihnen zu schaffen und es besteht die Gefahr, dass sie wegen Corona in finanzielle Schieflage geraten und zu C(orona)-Städten werden.
Starker Staat – in guten und in schlechten Zeiten
Es ist richtig, dass «der Staat» - und damit meine ich alle drei föderalen Ebenen - das Land und die Gesellschaft zusammenhält. Es braucht einen starken Staat, in guten, und vor allem auch in schlechten Zeiten. Nichts zeigt dies besser als die Corona-Krise. Zur Stärke der Schweiz gehört, dass sie föderalistisch aufgebaut ist, aber gleichzeitig für finanziellen Ausgleich sorgt. Ein zentrales Element des schweizerischen Finanzhaushalts ist der Finanzausgleich. Einerseits zwischen dem Bund und den Kantonen bzw. zwischen den Kantonen und andererseits in den Kantonen zwischen dem Kanton und den Gemeinden bzw. zwischen den Gemeinden.
Dieses Finanzausgleichsystem ist zentral für den nationalen Zusammenhalt, für den Zusammenhalt zwischen Stadt und Land. Die Schweiz ist ein eng verflochtenes, finanzpolitisches Gesamtsystem; Finanzstärken und Verschuldungsgrad aller drei Staatsebenen hängen voneinander ab. Erst mit florierenden Zentren werden Transfers in Randregionen möglich. Auf dem Gebiet der Stadt Bern werden neben gut 500 Millionen Franken kommunalen Steuern rund eine Milliarde an Steuersubstrat für den Kanton Bern und eine weitere halbe Milliarde Franken für den Bund generiert. Diese Zahlen belegen die Finanz- und Wirtschaftskraft der Städte.
Mitsprache auf Augenhöhe
Die Corona-Krise zeigt es in aller Deutlichkeit: Das heutige Finanzausgleichssystem trägt der wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Bedeutung der Städte nicht mehr Rechnung. Die Städte als letzte föderale Ebene beissen die Hunde, obschon sie den eidgenössischen und meistens auch die kantonalen Motoren am Brummen halten. Der Bund und die Kantone tragen hohe Kosten wegen Corona. Im Gegensatz zu den Städten und Gemeinden können sie diese aber mehr oder weniger problemlos tragen. So werden bspw. kantonale Finanzlöcher mit Geldern der Nationalbank gestopft.
Als Geldgeberinnen sind die Städte zwar gerne gesehen. Sie haben aber wenig bis nichts zu sagen, wenn es um die Steuerpolitik und die Mittelverteilung geht. Dies obschon sie meist stark betroffen sind, gerade wenn kantonale oder eidgenössische Steuerpraktiken geändert werden. So zuletzt bei der Steuerreform und AHV-Finanzierung (STAF), welche zu Mindereinnahmen von nach wie vor unklarer Höhe führt. Wir befinden uns im STAF-Blindflug, was den Bund und die Kantone nicht zu stören scheint. Ein Monitoring der mit STAF vollzogenen Änderungen in der Steuerpraxis ist unumgänglich, um diesen Blindflug zu beenden und notwendige steuerpolitische Massnahmen zu ergreifen. Dies fordern neben parlamentarischen Vorstössen (u.a. Motion Rytz, welche einen jährlichen Monitoring-Bericht zur Umsetzung der STAF fordert) auch die Konferenz der städtischen Finanzdirektorinnen und Direktoren KSFD.
Finanzflüsse neu definieren
Vor dem Hintergrund der Pandemie sind die Aufgaben- und Pflichten der drei Staatsebenen zu hinterfragen und Lehren für eine Modernisierung des Finanzausgleichs mit einer stärkeren Gewichtung des urbanen Elements zu ziehen. So braucht es einen vollständigen Ausgleich der Zentrumslasten, Gelder für die gerade in den Städten wichtigen Klimamassnahmen bspw. aus der Mineralölsteuer und eine Beteiligung der Städte am Geld der Nationalbank. Aber auch die Steuerteilung zwischen Arbeits- und Wohnort und ein gebändigter Steuerwettbewerb zwischen den Kantonen müssen endlich angegangen werden.
Unabhängig von der Frage zukünftiger Finanzflüsse und Steuerpraktiken bin ich überzeugt: Corona wird das Gesicht der Städte verändern. Der in kurzer Zeit vollzogene Digitalisierungsschub wirkt nach. Für Städte wie Bern mit im Vergleich zur Bevölkerungszahl überdurchschnittlich vielen Arbeitsplätzen bedeutet dies einen beschleunigten Strukturwandel. Wenn mehr Menschen von zu Hause aus arbeiten, sinken die Frequenzen in den Berner Lauben und die Gastronomieumsätze über Mittag werden noch länger unter dem Niveau vor der Pandemie bleiben. Es ist Aufgabe der Politik, den mit der Pandemie verstärkten Strukturwandel zu begleiten und gute Voraussetzungen zu schaffen, um die Standort- und Lebensqualität der Städte zu erhalten. Denn nur so bleiben die Städte Wirtschaftsmotoren und Cash-Cows der Nation.
«Nach Corona. Stimmen aus den Städten» erscheint jeden Mittwoch. Jede Woche äussern sich Exponentinnen und Exponenten aus Politik und Verwaltung sowie Fachpersonen, die für Städte oder zusammen mit Städten tätig sind, in der Textreihe «Nach Corona. Stimmen aus den Städten» dazu, was Schweizer Städte seit der Corona-Krise umtreibt (Abonnieren).
Michael Aebersold ist Direktor für Finanzen, Personal und Informatik der Stadt Bern.