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Vom Weckruf der Pandemie zum Krisenplan im Tiefbauamt

4. August 2021 – Der öffentliche Raum ist Bühne unseres Lebens und Gradmesser gesellschaftlicher Trends sowie akuter Ereignisse – in Basel und anderswo. Die Coronakrise hat deutlich gemacht, dass städtische Organisationen, die für Strassen und Plätze verantwortlich sind, das ganze Spektrum von der Improvisation bis zur vorausschauenden Planung beherrschen müssen.

Von Roger Reinauer, Kantonsingenieur, Basel

 

Wenn in Basel die Fasnacht abgesagt wird, dann sind die Zeiten ausserordentlich. Das war während der Spanischen Grippe nach dem Ersten Weltkrieg so und Anfang März 2020 nicht anders. Spätestens zu diesem Zeitpunkt haben die Baslerinnen und Basler zur Kenntnis nehmen müssen, dass die Coronapandemie nicht länger eine Schlagzeile aus fremden Landen ist, sondern etwas, was auch die Schweiz, ihre Stadt, ihr Quartier und auch sie selbst betreffen kann.

 

Definieren, was wirklich dringend ist

Für uns im Tiefbauamt Basel-Stadt, das unter anderem für die Bewirtschaftung des öffentlichen Raums, die Strassenreinigung und den Bau und Unterhalt von Strassen zuständig ist, stand ein Ziel im Vordergrund. Wir mussten sicherstellen, dass wir unsere Dienstleistungen auch unter den Vorzeichen einer hoch ansteckendenden und potenziell gefährlichen Krankheit erbringen können. Das war insofern eine besondere Herausforderung, als wir 350 unserer insgesamt 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht einfach ins Homeoffice schicken konnten.

 

Handlungsbedarf sahen wir insbesondere bei der Abfall- und Abwasserentsorgung, beim Winterdienst, der Stadtreinigung sowie den zughörigen Querschnittsdienstleistungen. Wenn der Abfall liegenbleibt, haben wir umgehend ein siedlungshygienisches Problem, das in Zeiten einer gesundheitlichen Krise noch gravierender ist als sonst. Damit es nicht dazu kam, hatten wir uns im Tiefbauamt innerhalb von zehn Tagen so aufgestellt, dass wir unsere Leistungen ungeachtet der erst besonderen und dann ausserordentlichen Lage erbringen konnten. Aus den temporären Überstunden der Kader resultierten situationsgerechte Ansätze auf allen Ebenen.

 

Wir mussten den Begriff der Systemrelevanz auf unsere Tätigkeitsfelder herunterbrechen und entsprechend Prioritäten setzen. Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadtreinigung und der Abfall- und Abwasserentsorgung ordneten wir eine Gruppenisolation an. Das heisst: Unsere Leute wurden fixen Gruppen zugeteilt, die mit anderen Gruppen keinen Kontakt mehr haben durften. Dafür wurden unter anderem auch die Mittagspausen der Teams gestaffelt. Mit dieser Massnahme sollten allfällige Übertragungen der Krankheit auf überschaubare Kreise beschränkt werden.

 

Gleichzeitig mussten wir jene zehn Prozent unseres Personals nach Hause schicken, die als besonders gefährdet galten. Für Personen, die auf der Strasse tätig sind, galt es alternative Einsatzmöglichkeiten zu finden; wo das nicht möglich war, ordneten wir bezahlte Abwesenheit an. Die Konsequenzen dieser Personalreduktion konnten teilweise durch kleinere Personenfrequenzen im öffentlichen Raum und auf öffentlichen Toiletten abgefedert werden. In anderen Bereichen, zum Beispiel bei den Baustellen, entschlossen wir uns, den courant normal aufrechtzuerhalten.

 

Doppelt so viel Platz für Gartenwirtschaften

Nachdem wir unsere elementaren Tätigkeiten der Situation entsprechend organisiert hatten, galt es nach dem ersten Lockdown der Gastronomie Spielräume zu verschaffen, die es ihr gestatten, trotz Distanzregeln ähnlich viele Menschen zu bewirten wie vor der Pandemie. Wir definierten den Grundsatz, dass die Wirte ihre Restaurationsflächen im Freien verdoppeln durften – sofern der verfügbare Raum und sicherheitstechnische Aspekte wie Feuerwehrzufahrten das zulassen.

 

Ergänzungen dieser Regeln im Laufe der Zeit, zum Beispiel die Möglichkeit, Gartenwirtschaften temporär auf Parkplätze zu erweitern, machen deutlich, wie sehr die Pandemie ein permanenter Lernprozess ist. Ein Lernprozess, in dessen Verlauf es uns im Tiefbauamt immer auch darum geht, aus vorläufigen Erkenntnissen zu den gesundheitlichen Wirkungen konkrete Handlungsanleitungen für uns als städtische Dienstleister abzuleiten.

 

Die Coronakrise macht uns auch bewusst, dass das, was wir bis anhin als Normalzustand gekannt haben, nicht selbstverständlich ist. Über den Fall hinaus, der 2020 eingetreten ist, sind auch Ereignisse denkbar, die neben Menschen auch Infrastrukturen tangieren: Bauten, Strassen, Brücken zum Beispiel, mithin Dinge, für deren Funktionstüchtigkeit wir als Tiefbauamt verantwortlich sind.

 

Lehren sammeln aus der Krise

Insofern war und ist die ausserordentliche Zeit, die wir durchleben, für das Tiefbauamt Basel auch ein Weckruf. Wir sammeln deshalb nicht nur Lehren aus der gegenwärtigen Periode fundamentaler Unsicherheit. Wir treffen auch Annahmen für andere krisenhafte Ereignisse in unserer Stadt und unserem Kanton, wie einen Blackout, ein Erdbeben, ein Hochwasser oder Folgen von Terrorismus oder gar Krieg.

 

Die konkreten Erfahrungen der Pandemie und Überlegungen zu potenziellen anderen Situationen jenseits der Normalität fliessen in einen Krisenplan ein, der bis Ende 2021 fertiggestellt werden soll. Dieser soll uns künftig Anhaltspunkte liefern, wie wir unsere Aufgaben mit unserem Personal und unseren Produktionsmitteln in solchen Fällen so gut wie möglich wahrnehmen können.

 

Dafür haben wir unser Wirken in drei Typen gegliedert: Höchste Priorität haben Tätigkeiten, die unbedingt aufrechterhalten werden müssen, weil sie für die Sicherheit von Personen, des Verkehrs oder der Umwelt unabdingbar sind. Es folgen andere Dienstleistungen für Bevölkerung oder Wirtschaft sowie Tätigkeiten für Planung und Politik. Die Priorisierung hängt von der Zeitdauer ab, bis der Verzicht einer bestimmten Tätigkeit grosse Schäden verursacht. Mit anderen Worten: die unterschiedlichen Grade der Systemrelevanz ergeben sich aus der zeitlichen Dringlichkeit der Aufgaben.

 

Während eine Gewässerverschmutzung umgehend negative Folgen haben kann und deshalb sofort zu bekämpfen ist, schlägt die verschobene Planung eines Bauprojekts erst später, zum Beispiel nach einem Jahr zu Buche. Indem wir ermitteln, was in unserem Portfolio wie dringlich ist, wollen wir unsere Tätigkeiten robuster machen. Wir schaffen also bessere Voraussetzungen dafür, dass wir diese auch bei widrigen Umständen aufrechterhalten können. Das beginnt beim Schutz gegen schlechtes Wetter und reicht bis zu Überlegungen, wie wir vorgehen, wenn unsere Fahrzeugwerkstätte zerstört werden sollte.

 

Auch wenn wir uns nun besser auf verschiedenste Ereignisfälle vorbereiten: Das verheerendste Ereignis in der Geschichte von Basel, das grosse Erdbeben vom 18. Oktober 1356 liegt über 650 Jahre zurück. Unsere Stadt ist eine glückliche Stadt, unser Kanton ein glücklicher Kanton. Möge das so bleiben.
 

«Nach Corona. Stimmen aus den Städten» erscheint jeden Mittwoch. Jede Woche äussern sich Exponentinnen und Exponenten aus Politik und Verwaltung sowie Fachpersonen, die für Städte oder zusammen mit Städten tätig sind, in der Textreihe «Nach Corona. Stimmen aus den Städten» dazu, was Schweizer Städte seit der Corona-Krise umtreibt (Abonnieren).

 

Roger Reinauer ist Kantonsingenieur von Basel-Stadt und Präsident der Fachgruppe der Stadt- und Gemeindeingenieure des Schweizerischen Städteverbandes.    

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