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Digitalisierungsschub an den Schulen dank Covid-19

11. August 2021 – Wie in allen Gemeinden haben auch in Winterthur die Schulen im Frühling 2020 in Rekordzeit auf Fernunterricht umgestellt. Dadurch sind neue Onlineformate entstanden, und digitale Tools wurden früher und umfassender genutzt als dies sonst wohl der Fall gewesen wäre. Trotzdem darf Fernunterricht nicht mit digital angereichertem Unterricht verwechselt werden.

Jürg Altwegg, Stadtrat in Winterthur und Präsident der Städteinitiative Bildung

 

Von null auf hundert in drei Tagen

Am Freitag, 13. März 2020, überschlagen sich auch im Departement Schule und Sport der Stadt Winterthur die Ereignisse. Doch blicken wir noch eine Woche weiter zurück: Am Wochenende vom 7. und 8. März 2020 fanden Weiterbildungstage mit den pädagogischen ICT-Supportern der Sekundarschulen der Stadt Winterthur statt. Eine Lehrperson stellte die Frage in den Raum, wie wir damit umgehen würden, falls die Schulen demnächst geschlossen würden. Ein Raunen ging durch die Reihen, und so richtig glaubte niemand an dieses Szenario. Schliesslich gab es dies, soweit sich die Anwesenden erinnern konnten, noch nie. Man war sich deshalb in besagter Runde relativ rasch einig, dass ein verpflichtender Fernunterricht praktisch nicht möglich sei und dass lediglich freiwillige Angebote über «Microsoft Teams» zur Verfügung gestellt werden könnten. Die folgenden zwei Monate zeigten, dass diese Aussage komplett falsch war. Aber damals konnte man sich vieles noch nicht vorstellen, das heute zu unserem Alltag gehört.

 

Zurück zu besagtem Freitag: Im Department Schule und Sport in Winterthur wurde das sogenannte «Sicherheitsteam DSS» aktiv. Als im Verlaufe des Nachmittags klar wurde, dass die Schulen am kommenden Montag tatsächlich geschlossen werden, stand unter anderem die Frage im Raum, wie die Schülerinnen und Schüler mit digitalen Möglichkeiten erreicht und unterrichtet werden können.

 

Grosse Herausforderungen warteten auf alle Beteiligten

Die Fachstelle «Schule & Computer» der Stadt Winterthur hatte bereits Anfang März 2020 mit dem Aufbau einer internen Website zum Thema «Schule von zu Hause aus» begonnen. Diese Website wurde am 13. März 2020 mit Online-Tutorials zu «Schabi» (Schule am Bildschirm) und «Microsoft Teams» erweitert. Nur dank der bereits vorhandenen Microsoft-365-Umgebung mit Accounts für alle Schülerinnen und Schüler sowie dank der ebenfalls vorhandenen flächendeckenden Schabi-Lizenz war es möglich, den Schulen ab dem 16. März 2020 zwei funktionierende Fernlernumgebungen zur Verfügung zu stellen.

 

Um eine der erwähnten Lernumgebungen abzurufen, ist allerdings die entsprechende Hardware notwendig. Weil in der Stadt Winterthur nebst Notebooks und Tablet-Pools der Primarschulen, in den Sekundarschulen mehrheitlich Desktop-Computer zur Verfügung standen, war Kreativität gefragt. Schülerinnen und Schüler, die zu Hause kein Gerät zur Verfügung hatten, wurden deshalb von einigen Schulen mit Desktop-Computern oder zusätzlichen Notebooks aus der zentralen Ausleihe der Fachstelle ausgestattet. Mit diesen beiden Massnahmen konnte die grosse Mehrheit der Schülerinnen und Schüler aus technischer Sicht einigermassen gut ausgerüstet und somit die Erreichbarkeit sichergestellt werden.

 

Positive Erlebnisse in der Krise

In den folgenden Wochen und Monaten erlebten wir auch in Winterthur Lehrpersonen, die kreative Lösungen entwickelten, indem sie ihren Unterricht umstellten und Dinge wagten, die sie unter normalen Umständen wohl nie umgesetzt hätten. So entstanden kleine und grosse innovative Ideen im schulnahen Umfeld, die in erstaunlich kurzer Zeit initiiert wurden: Die Jugendinfo, eine Abteilung der offenen Jugendarbeit Winterthur, erstellte z. B. ein online basiertes Waldgame für Jugendliche, welches sie in Kleingruppen an der frischen Luft mit ihrem Smartphone absolvieren konnten.

 

Doch was macht guten Fernunterricht aus?

Die technischen Voraussetzungen für den Fernunterricht müssen, wie bereits erwähnt, auf der institutionellen Ebene geschaffen werden. Die Umsetzung in den Schulen benötigt dann jedoch grosses Know-How bei den Lehrpersonen, welche den Fernunterricht durchführen müssen. Dieses Wissen kann nicht von heute auf morgen aufgebaut werden und auch wenn in den Schulen vielfältige Erfahrungen gemacht werden konnten, beschäftigt uns die Frage «Was macht guten Fernunterricht aus?» nach wie vor. So vielfältig wie der Präsenzunterricht gestaltet werden kann, so unterschiedlich kann diese Frage beantwortet werden. Eine abschliessende Definition ist auch aus heutiger Sicht nicht möglich. Gespräche mit Lehrpersonen zeigten jedoch, dass folgende Grundüberlegungen beim Fernunterricht von zentraler Bedeutung sind:

  • Fernunterricht, der den Präsenzunterricht 1:1 in die digitale Welt verlagert, funktioniert schlecht.
  • Es braucht offene Aufgaben mit zeitlichen Freiheiten für die Schülerinnen und Schüler, um diese Aufgaben zu lösen.
  • Es braucht wiederkehrende Aufgaben, welche die Schülerinnen und Schüler selbständig und ohne Hilfe der Eltern oder Erziehungsberechtigten lösen können.
  • Eine sinnvolle Tagesstruktur, an welcher sich die Schülerinnen und Schüler orientieren können, gibt wertvollen Halt. Diese Struktur soll nicht den Präsenzstundenplan abbilden, sondern unter Berücksichtigung zeitlicher Freiräume Eckpunkte definieren, an welchen sich die Schülerinnen und Schüler orientieren können.

Digital angereicherter Unterricht ist nicht gleich Fernunterricht

Nach der Rückkehr zum Präsenzunterricht wurden einige Stimmen laut, welche eine systematische Auswertung der Erfahrungen aus dem Fernunterricht während dem Lockdown forderten. Einige wahrscheinlich mit dem Hintergedanken, die Grenzen digitaler Medien aufzuzeigen und andere mit der Hoffnung, die Chancen dieser hervorzuheben. Beide Ansätze sind aufgrund folgender Überlegungen heikel und würden zu falschen Aussagen führen:

  • Es handelte sich beim Fernunterricht im Lockdown um eine Ausnahmesituation, die auch als sogenannter Notfallfernunterricht bezeichnet wurde. Zum einen waren die Schulen darauf nicht umfassend und sorgfältig genug vorbereitet, zum anderen kamen für viele Lehrpersonen erschwerende private Umstände hinzu, indem z. B. die eigenen Kinder ebenfalls zu Hause betreut werden mussten oder indem Stress und Angst aufgrund der Bedrohung der Pandemie sie zusätzlich belasteten.
  • Der Fernunterricht wurde im Lockdown oft gleichgesetzt mit digitalem Unterricht und wurde zum Teil im weiteren Sinne mit dem Modul «Medien und Informatik» gemäss Lehrplan 21 verknüpft. Dabei wurde verdrängt, dass die allermeisten Inhalte im Bereich «Medien und Informatik» keineswegs dazu prädestiniert sind, um sie aus der Ferne zu vermitteln. Zu «Medien und Informatik» gehören kreative Gruppenarbeiten, gemeinsame Reflexionen und die Arbeit mit physischen Materialien genauso dazu wie bei allen anderen Fächern. Die Möglichkeit, z. B. über eine Videokonferenzsoftware, eine Diskussion zu führen oder ein Arbeitsblatt elektronisch abzugeben, stellen Anwendungskompetenzen dar, die nur einen Bruchteil des Moduls «Medien und Informatik» ausmachen.

Zusammengefasst wurde digital angereicherter Unterricht oft mit Fernunterricht gleichgesetzt. Diese Gleichsetzung ist inhaltlich nicht korrekt. Trotzdem soll nicht negiert werden, dass der Lockdown gewisse Türen öffnete. Einige Lehrpersonen haben neue Tools ausprobiert und Methoden angewendet, für die sie sich unter normalen Umständen wohl mehr Zeit gelassen oder an die sie sich nie gewagt hätten. Wenn dieser Wissenszuwachs nun auch im Präsenzunterricht bzw. ergänzend genutzt werden kann, profitieren alle von der neu gewonnenen Vielfalt.
 

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Jürg Altwegg ist Stadtrat in Winterthur und Präsident der Städteinitiative Bildung

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