«Wir suchen nach pragmatischen Lösungen»
Ihre Stadt ist Teil des Bundesinventars der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung. Aufgrund welcher Eigenschaften wurde Martigny in diese Liste aufgenommen?
Das ist zweifellos auf das Forum Claudii Vallensium, ein 6’000 Zuschauer fassendes Amphitheater und Teil der ehemaligen römischen Stadt, zurückzuführen. Dieses Kulturerbe ist im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, wobei die drei mitteltalterlichen Kerne von Martigny-Ville, Martigny-Bourg und La Bâtiaz ebenfalls dazu beitragen. Neuer sind die prächtigen Villen, die am Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut wurden, besonders diejenigen von François-Casimir Besson.
In den letzten Jahren konnte man einen Boom am Immobilienmarkt beobachten Mit welchen grösseren Herausforderungen waren und sind Sie bei Ihren Bemühungen konfrontiert, das Ortsbild zu erhalten?
Dank der intelligenten Raumplanung und der Bereitstellung von Bauland musste die Stadt nicht auf Abrisse zurückgreifen, um ihr Gebiet zu verdichten. Die Stadt versucht, ein Gleichgewicht zwischen dem Erhalt des kulturellen Erbes und der Erneuerung zu finden, indem sie manchmal Sanierungen statt einfach Abriss verlangt. In jenen Gebieten, die in unserer Gemeinde ins ISOS aufgenommen wurden, sind die Hürden hoch. Für grössere Bauvorhaben ab 5’000 m2 Grundfläche verlangt die Stadt vom Architekten bzw. Bauträger die Erstellung eines Quartierplans (QP). Dieses Instrument ermöglicht es den Behörden, auf einem bestimmten städtebaulichen Standard zu bestehen und in die Planung solcher Projekte einzugreifen. Zudem definiert sich die Qualität einer Stadt nicht nur über ihre Bauten, sondern auch über ihre Leerräume.
Können Sie ein Projekt nennen, das veranschaulicht, wie Sie in dieser Hinsicht vorgegangen sind?
Eine Denkmalschutzkommission der Gemeinde hat die Aufgabe, Bauherren bei ihrer Arbeit begleitend zur Seite zu stehen. So wird jedes Projekt diskutiert, um die beste Lösung im Hinblick auf den Denkmalschutz zu finden. Bereits im Frühstadium des Projekts oder wenn der Eigentümer sein Bauvorhaben formuliert, soll der beste Weg gefunden werden. Ausserdem beschäftigt sich die Stadt schon seit zehn Jahren mit der Neuordnung ihrer wichtigsten öffentlichen Räume. Martigny ist die Walliser Stadt mit der grössten Dichte. Die Umgestaltung dieser «Leerräume» hilft mit, die Baudichte zu kompensieren. Die Neugestaltung des Place Centrale ist ein Beispiel, man könnte aber auch den Place du Manoir, den Espace Mont Blanc oder die noch nicht abgeschlossene Neugestaltung der Avenue de la Gare nennen.
Welche Interessenabwägungen gilt es zu beachten?
Die gegensätzlichen Ziele der vom RPG angestrebten Verdichtung und der Bewahrung des Kulturerbes lassen sich nicht leicht vereinbaren. Bei der Renovierung von Gebäuden prallen etwa die Notwendigkeit der besseren Wärmedämmung und das Anliegen des Denkmalschutzes aufeinander. In diesem Bereich sind die Vorschriften manchmal zu strikt. Da die Gemeinde nicht über ein architektonisches Inventar verfügt und die derzeitige städtische Bauordnung bei der Verdichtung einen grossen Spielraum lässt, suchen wir nach pragmatischen Lösungen.
Was würden Sie bezüglich des Spannungsfelds zwischen der Innenentwicklung und dem Erhalt des Ortsbilds vom Bund erwarten?
Bisher hat uns die Dienststelle für Immobilien und Bauliches Erbe (DIB) des Kantons Wallis bei unseren Bemühungen stets unterstützt. Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind mit dem Gebiet und seinem Erbe bestens vertraut. Das scheint uns ausreichend, so dass wir nicht auf den Bund zurückgreifen müssen.
Wie sieht das Ortsbild von Martigny in 20 Jahren aus?
Martigny möchte ihren Einwohnerinnen und Einwohnern als dicht besiedeltes urbanes Zentrum eine hohe Lebensqualität bieten. Auf die Besonderheiten jedes Quartiers setzend, schafft sie ein differenziertes Ambiente. Die Stadt bewahrt ihre KMU-Strukturen, die ihren Wohlstand garantieren. Sie pflegt ihre historischen Kerne, indem sie Erneuerungen zulässt, die sorgsam mit dem baulichen Erbe umgehen und garantiert dessen Neubelebung durch ebenso attraktive kommerzielle Nutzungen (kleine Geschäfte, Restaurants etc.). Diese Quartiere sind durch ein begrüntes Netz sanfter Mobilität miteinander verbunden. In jedem dieser Quartiere sind die Geschäfte in weniger als einer Viertelstunde zu Fuss erreichbar.