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Dossier: Logistikorte sind weit mehr als ein notwendiges Übel


Dossier: Logistikorte sind weit mehr als ein notwendiges Übel

Das Verhältnis zwischen den Städten und ihrer Versorgung ist neu zu definieren. Orte des Warenumschlags sind wieder sichtbar zu machen. Das führt die Masterarbeit des Architekten Lukas Stadelmann an der ETH Zürich vor Augen.

 

Lukas Stadelmann, MSc Arch ETH Zürich

 

Das Bild des städtischen Konsums zeigt sich heute im Hinterland, in den gesichtslosen Boxen an Autobahn und Eisenbahn. Steigende Bodenpreise in den urbanen Zentren, Bestrebungen von Grossverteilern zur Zentralisierung sowie der schnell wachsende Versandhandel haben Stätten für Produktion und Umschlag aus den Städten verdrängt. Immer mehr Konsumierende leben in dichten städtischen Räumen und werden aus dem Umland versorgt. Aber auch wenn Konsumierende zunehmend digitale Wege beschreiten, bedingen Güter noch immer eine physische Realität.

 

Das Verhältnis von konsumierender Stadt und produzierendem Umland ist deshalb in seinem ganzen Zusammenhang zu betrachten. Die Auseinandersetzung allein mit der Bewegung von Gütern innerhalb der bereits existierenden Strukturen reicht nicht aus. Städte sind historisch um Orte des Marktes und des Güterumschlages entstanden. Heute übernehmen Lagerhäuser und Verteilzentren Funktionen, die früher städtisch waren. Die ökonomischen Vorteile für die Anbieter sind offensichtlich: Sie können Skaleneffekte und Synergien nutzen. Die Kehrseite der Medaille ist, dass sich die sogenannte «letzte Meile» verlängert. Selbst regionale Produkte nehmen den Weg über nationale Verteilzentren.

 

Die Konsequenz dieser Entwicklung zeigt sich heute an den Autobahnzufahrten. Der zunehmende Individualverkehr erreicht die Städte zur gleichen Zeit wie die vom Nachtfahrverbot betroffenen Lastwagen, die Waren von Verteilzentren und regionalen Produzenten liefern. Mit der Verdichtung der Städte steigt die Nachfrage bei gleichbleibendem Strassenraum. Das Transportgewerbe reagiert darauf mit zusätzlichen Fahrzeugen. Wenn mit einer einzelnen Fahrt weniger Ziele angesteuert werden können, braucht es mehr Fahrzeuge mit geringerem Ladevermögen – was zu mehr Emissionen und Verkehr führt. Gleichzeitig werden die Bewohnerinnen und Bewohner der Städte zunehmend von den Konsequenzen ihres Konsums entfremdet.

 

 

«Soll die letzte Meile kürzer werden, sind wieder Umschlagplätze in den Städten nötig. Die haben allen Akteuren offenzustehen und müssen 
mehr sein als reine Stätten des Transports.»

 

 

Soll die «letzte Meile» kürzer werden, sind wieder Umschlagplätze in den Städten nötig. Die haben allen Akteuren offenzustehen und müssen mehr sein als reine Stätten des Transports. So können Güter gebündelt auf Strasse, Schiene oder Tunnel in die Stadt gebracht und vor Ort für den Endverbrauch verarbeitet werden. Produkte, welche die Stadt verlassen, und die Entsorgung können von den gleichen Strukturen profitieren. Das ermöglicht nicht nur einen nachhaltigen Kreislauf von Gütern in der Stadt, sondern eliminiert auch unnötige Transportwege.

 

Zürich geht hier mit gutem Beispiel voran. In Logistikkonzepten von Kanton und Stadt ist die Idee des städtischen Umschlages bereits angedacht. In Fachgruppen werden die Möglichkeiten von Kooperationen diskutiert. Was jedoch noch fehlt, ist der Mut zu einem umfassenden Eingriff. Der Ort der städtischen Logistik muss mehr sein als ein notwendiges Übel!

 

Nehmen wir uns ein Beispiel am Ursprung der Stadt, und zwar nicht nur an den Umschlageplätzen und Markthallen, sondern auch an den Zunfthäusern und Produktionsstätten, die in unmittelbarer Nähe dazu entstanden sind. Diese Räume werden heute als wertvolle Bestandteile des städtischen Raums interpretiert. Auch wenn die automatisierten Bewegungen in modernen Logistikstrukturen schwer mit früheren Vorgängen auf Marktplätzen zu vergleichen sind, so liegt in ihnen doch das gleiche Potenzial, um städtischen Raum zu schaffen, der diesen Namen verdient. Hier stellt sich eine komplett neue Aufgabe für Stadtplanerinnen und Architekten.

 

Auch in den umliegenden Gemeinden sollte es ein Interesse an dieser Auseinandersetzung geben. Verdichtungsbestrebungen in der Agglomeration treffen genau auf die Räume, die momentan für die städtische Versorgung genutzt werden. Anstatt diese Verschiebung weiter ausufern zu lassen, ist der Zeitpunkt gekommen, sich mit diesen Räumen auseinanderzusetzen. Darin liegt eine grosse Chance: Statt den Agglomerationen eine veraltete Vorstellung von baulicher Stadtwerdung aufzuzwingen, lassen sich neue Räume schaffen, in denen sowohl gelebt und konsumiert als auch produziert wird.

 

Fragen, wie wir die Stadt versorgen, wie wir lokale Produktion fördern und nachhaltig mit unseren räumlichen Ressourcen umgehen, lassen sich nur ganzheitlich diskutieren – die Diskussion um die urbane Logistik bietet dazu den perfekten Rahmen.

 

 

Quelle: «focus» 01/20 zur urbanen Logistik

Wie könnten grosse City-Hubs dereinst aussehen? (Fotomontage Lukas Stadelmann)
Lukas Stadelmann, MSc Arch ETH Zürich
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