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Entdeckungsreisen auf heimischen Pfaden

Abseits der touristischen Routen und jenseits der überlaufenen Sehenswürdigkeiten laden alternative Stadtführungen dazu ein, Lokalgeschichte neu zu erfahren.

Viele Schweizer Städte sind sehr stark «touristifiziert»: Seit dem 19. Jahrhundert besuchen Touristinnen und Touristen beispielsweise die Stadt Luzern. Gegenwärtig bedeutet dies über eine Million Logiernächte pro Jahr und weitaus mehr Tagesgäste aus aller Welt. Was sich in diesen rund 170 Jahren Tourismusgeschichte kaum verändert hat, sind die Empfehlungen in den Reiseführern. In Luzern heisst das: Hofkirche, Löwendenkmal, Altstadt, Spreuerbrücke, Kapellbrücke.

Alternative Rundgänge wurden in Luzern wie auch in vielen anderen Schweizer Städten von lokalen Initiativen entwickelt – vor dem Hintergrund der sich wandelnden historischen und kulturwissenschaftlichen Forschung. Diese hat seit den 1980er Jahren zunehmend Bevölkerungsgruppen und Lebenswelten in den Fokus gerückt, die zuvor wenig beachtet worden waren: die Alltagsgeschichte, die Geschichte der Arbeit, die Frauen- und Geschlechtergeschichte oder die Geschichte von Migration und Globalisierung. Diese neuen Ansätze machen die (Stadt-)Geschichte vielstimmiger. Sie gehen auch mit neuen Formaten einher, wie Geschichte dargestellt und erfahren wird: Geschichte soll nicht nur zwischen schweren Buchdeckeln oder in Hörsälen stattfinden, sondern auf die Strasse, zu den Leuten gebracht werden.

 

Wohin führen diese neuen Pfade und wie verändern sie den Blick auf urbane Räume? Ein Beispiel für einen alternativen Rundgang bietet der 1991 gegründete Verein Frauenstadtrundgang Luzern. Bis heute führen die Mitglieder des Vereins interessierte Personen zu zentralen Orten der lokalen Frauengeschichte wie ehemaligen Vergnügungs- oder politischen Versammlungslokalen. Während klassische Rundgänge meist auswärtige Gäste anlocken, bieten solche Formate auch der lokalen Bevölkerung eine historische Entdeckungsreise. Die alternativen Routen führen zu übersehenen und vergessenen Orten. Wo haben die politischen Vorkämpferinnen im 19. Jahrhundert ihre Pläne geschmiedet? Und wo verstecken sich Kunstwerke im vermeintlich vertrauten Quartier? Diese Geschichten verändern den Blick auf eine Stadt und ihre Bewohnerinnen und Bewohner. Viele dieser Spaziergänge leben vom lokalen Wissen der Beteiligten sowie deren Enthusiasmus und Engagement. Sie sind Teil einer aktiven Stadtgesellschaft, die sich in Zeiten des Massentourismus ihre Geschichte und Gegenwart (wieder) selbst aneignet.

 

 

Gina Dellagiacoma und Mischa Gallati

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