Freiburg stellt die Kunstschaffenden (wieder) in den Mittelpunkt
Natacha Roos, Leiterin des Kulturamts der Stadt Freiburg
Eine dienststellenübergreifende Gruppe für die Bereitstellung aussergewöhnlicher Massnahmen
Im März 2020 hat die Stadt Freiburg beschlossen, 3 Millionen Franken freizugeben, um das lokale Gewerbe, Akteure der Kultur, Sport- und Sozialvereine sowie die bedürftigsten Personen zu unterstützen. Eine COVID-19-Koordinationsgruppe wurde von der Verwaltung ins Leben gerufen, um Massnahmen vorzuschlagen.
Die Herausforderungen für die Städte
Zwei Herausforderungen haben sich für den Kulturbereich schon sehr bald aufgedrängt: das Sterben wichtiger Kultureinrichtungen zu verhindern und gegen die Verarmung von Künstlerinnen, Künstlern und selbständigen Kulturschaffenden zu kämpfen. Die Subsidiarität in der Kulturförderung, die den Städten eine Rolle als Motoren der Unterstützungsmassnahmen für die Kultur zuweist, wurde umgekehrt, um diese schwere Krise in der schweizerischen Kulturgeschichte abzumildern. Die Entschädigungen des Bundes und der Kantone sowie die Kurzarbeit haben es bis jetzt ermöglicht, die Vielfalt der Kulturlandschaft zu erhalten. Nach 17 Monaten Pandemie und «Netflixisierung» sind neue Herausforderungen entstanden: die Erwartungen der Bevölkerung im Kulturbereich, ausstehende Antworten der kulturellen Akteure und die Anpassung der Kulturpolitik der Gemeinwesen unter der Perspektive der Nachhaltigkeit, damit diese Krise den sich bereits vor der Pandemie abzeichnenden Paradigmenwechsel befördern kann.
Die Kunstschaffenden im Zentrum der getroffenen Massnahmen
Nachdem die Stadt Freiburg die Beibehaltung aller jährlichen Subventionen im März 2020 angekündigt hat, musste Sie feststellen, dass die Pandemie die unsichere Existenz der Kunstschaffenden klar zum Vorschein brachte. Die Kulturschaffenden wurden besonders stark in Mitleidenschaft gezogen, weil sie die meisten ihrer Einkünfte nur aus ihren Produktionen erzielen, wobei diese am 16. März 2020 von einem Tag auf den anderen eingestellt werden mussten. Die Recherche- und Entwicklungszeit von Kulturschaffenden wird selten finanziert, insbesondere in der bildenden Kunst und der zeitgenössischen Musik, Bereichen, in denen ein Grossteil der professionellen Künstlerinnen und Künstler keinen Anspruch auf entsprechende Entschädigungen hatten.
Die ersten Ergebnisse einer internen Umfrage bei Kunstschaffenden, welche im Rahmen von ausserordentlichen Massnahmen der Stadt Freiburg unterstützt wurden, sind bemerkenswert: über 50% der unterstützten Künstlerinnen und Künstler weisen keinen Selbstständigkeitsstatus auf. Ihre Einkommen erlauben oft keinen Anspruch auf berufliche Vorsorge, obwohl die meisten über ein höheres Ausbildungsniveau verfügen. Diese Daten haben die von der Stadt Freiburg eingeschlagene Richtung bestätigt, ihre Unterstützung direkt für die Künstlerinnen und Künstler zu verstärken, ohne die der Kultursektor nicht existieren würde.
7 konkrete Massnahmen
Nach Konsultation der Kulturszene hat die Zähringerstadt daher beschlossen, einen Finanzrahmen von 530 000 Franken zu gewähren, die direkt den Künstlerinnen und Künstlern sowie den selbstständigen Kulturschaffenden in Form von 7 konkreten Massnahmen bereitgestellt wird:
- Massnahme: 13 professionelle Kunstschaffende profitieren von einer lokalen zweimonatigen Mini-Künstlerresidenz, verteilt auf den Zeitraum 2020–2021. Mit den Stipendien von CHF 5000.– sowie leerstehenden Verkaufsflächen im Stadtzentrum, die dank der im März 2021 ins Leben gerufenen Kulturregie zugänglich gemacht wurden. Diese Residenzen bieten Zeit für die Recherche und Entwicklung sowie für deren Sichtbarkeit in Form von personalisierten Videos und anderen Mitteln der Vermarktung.
- Massnahme: Unterstützung für die Recherchearbeit für professionelle Künstlerinnen und Künstler, die alle CHF 1500.– Unterstützung erhalten konnten.
- Massnahme 3: Aufforderung zur Einreichung von künstlerischen Projekten für die Schubertiade: Kunstschaffende aus allen Disziplinen wurden aufgefordert, originelle, interdisziplinäre und partizipative Projekte vorzuschlagen, mit dem Ziel, die üblichen Normen und Usanzen der klassischen Musik zu überwinden und die Schubertiade am 3./4. September 2022 für die gesamte Bevölkerung zugänglich zu machen.
- Massnahme: eine Unterstützung für das Kunstschaffen in der bildenden Kunst, in Höhe von CHF 1500.– pro Künstlerin oder Künstler; im Sommer 2020 hat eine erste Ausstellung im öffentlichen Raum ein kollektives visuelles Zeugnis dieser historischen Zeit in Zusammenarbeit mit Visarte hinterlassen.
- Massnahme: «Les (In)connu·e·s/die (Un)bekannten», ein Projekt der kulturellen Vermittlung im öffentlichen Raum, das für Künstlerinnen und Künstlern durchgeführt wurde, die Interesse an Arbeiten zum Thema 50 Jahre Frauenstimmrecht hatten. Eine rund um die Uhr sichtbare Ausstellung «ausserhalb der Mauern» wurde im September 2020 ins Leben gerufen.
- Massnahme: Unterstützung für Projekte, Käufe und Bestellungen: Diese Massnahme ermöglichte den Kauf von Kunstwerken, die seit dem Beginn der COVID-19-Krise angefertigt wurden und die in alten Telefonkabinen ausgestellt werden sollen. Eine weitere Aufforderung zur Einreichung von künstlerischen Projekten zum Thema der Kunst im öffentlichen Raum wird demnächst lanciert.
- Massnahme: Bestandsaufnahme und Förderung von professionellen Künstlerinnen und Künstlern: Diese wichtige Massnahme soll es ermöglichen, die Erfassung der Kunstschaffenden, die während der ersten COVID-19-Welle in Freiburg begonnen wurde, abzuschliessen, um es der Stadt zu ermöglichen, ein direkt für die Künstlerinnen und Künstler bestimmtes Förderungskonzept zu entwickeln.
Die Nachhaltigkeit, ein Paradigmenwechsel
Diese Massnahmen, die unter Zeitdruck beschlossen wurden, um den unmittelbaren Bedürfnissen der professionellen Künstlerinnen und Künstler und selbstständigen Kulturschaffenden zu entsprechen, leisten einen Beitrag zum Paradigmenwechsel, der in der Kultur ebenso wie in anderen Bereichen unternommen werden soll. Freiburg thematisiert solche Veränderungen jährlich, beim Kulturtag, einem Raum des Dialogs und des gemeinsamen Aufbaus der Kultur von morgen. Fünf Tage vor dem Lockdown hinterfragte der Kulturtag den Wandel der kulturellen Einrichtungen. Die Kultureinrichtungen der «neuen Generation», die von Einfallsreichtum und Dynamik überquellen mit ihren interdisziplinären und umweltverantwortlichen Konzepten und partizipativen Workshops, sind unverzichtbare Akteure und Treiber für den Wandel der Städte - vom Theatersaal über gemeinsam verwaltete Räume bis zu Industriebrachen.
Die Schweizerische Städtekonferenz Kultur (SKK) bietet eine nützliche Plattform für den Austausch zwischen den Städten, besonders in Zeiten der Krise. Die 7 ausserordentlichen Massnahmen Freiburgs, ebenso wie weitere coronaspezifische Massnahmen der anderen Schweizer Städte, werden auf einer kollektiven Plattform abgebildet, die regelmässig aktualisiert wird. Eine offizielle Version (Stand: Ende Mai 2021) für Interessierte ist hier verfügbar.
Natacha Roos ist Leiterin des Kulturamts der Stadt Freiburg