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«Die Investitionen zahlen sich langfristig aus»

15. Februar 2022 – Interview mit Mathias Gabathuler (FDP), als Mitglied des St.Galler Stadtrats zuständig für Bildung und Freizeit.

St.Gallen geht etwas einen anderen Weg bei den Tagesschulen als viele andere Städte. Können Sie uns mehr darüber erzählen?

Die Tagesbetreuung der Stadt St.Gallen positioniert sich familienergänzend. Sie versteht sich als freiwilliges Angebot für Familien und nicht als Teil der Schule. In jedem Schulquartier befindet sich eine Tagesbetreuung, welche Kindergarten- und Primarschulkindern ausserhalb der Schulzeiten an allen Wochentagen von 07:00 – 18:00 Uhr offensteht. Während neun Schulferienwochen findet eine Ganztagesbetreuung statt. Auf der Oberstufe wird an vier Wochentagen ein Mittagstisch angeboten. An allen Standorten wird täglich nach den Kriterien von «Ama terra - fourchette verte» frisch gekocht. Die Betreuungsangebote sind der Dienststelle Schule und Musik angegliedert und werden von sozialpädagogisch ausgebildeten Standortleitungen geführt. Schule und Betreuung sind hierarchisch gleichgestellt, organisatorisch sind die Schul- und Betreuungsleitungen auf derselben Ebene in die Verwaltung eingebettet. In der Geschäftsleitung findet eine enge institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen Schule und Betreuung statt.

 

Was sind die Vorteile, dass das Betreuungsangebot nicht Teil der Schule ist?

Das Angebot der Tagesbetreuung der Stadt St.Gallen ist mit seiner umfassenden zeitlichen Abdeckung einer Tagesschule mindestens ebenbürtig. Die Familien profitieren davon, dass sie die Betreuungseinheiten gemäss ihrem individuellen Bedarf zusammenstellen können. Dies kann von einem Mittag pro Woche bis zur vollumfänglichen Betreuung an fünf Wochentagen und einer Ganztagesbetreuung während neun Schulferienwochen reichen.

 

Bei der Tagesbetreuung handelt es sich um ein sozialpädagogisch ausgerichtetes Angebot mit entsprechendem Fachpersonal. Die Betreuungszeit wird als Freizeit der Kinder verstanden. In der Ausgestaltung orientiert sich die Tagesbetreuung am Familienalltag. Dies zeigt sich unter anderem in der familiären Gestaltung der Räumlichkeiten, in den gemeinsamen Mahlzeiten an überschaubaren Tischen oder in der Du-Kultur. Eigene Konzepte und Richtlinien wie z.B. das Qualitätsleitbild oder das Beschwerdeverfahren für Kinder und Jugendliche gewährleisten eine hohe sozialpädagogische Qualität. Von dieser Qualität und vom familiären Rahmen profitieren die Kinder in vielerlei Hinsicht. Von grossem Wert sind auch die konstanten Bezugspersonen, welche die Kinder im Alltag professionell unterstützen und fördern, ohne sie in Form von Noten bewerten zu müssen. Gerade für Kinder, welche im schulischen Setting besonders gefordert sind, stellt es eine grosse Chance dar, auf Bezugspersonen zu treffen, welche unabhängig vom Geschehen im Schulunterricht auf sie zugehen und es ihnen damit erlauben, eine andere Rolle einzunehmen. Eltern schätzen die Bezugspersonen häufig als Vertrauens- und Ansprechpersonen in erzieherischen Fragen.

 

Ein weiterer Vorteil für Kinder und Eltern sind die flexiblen Übergänge von der KiTa in die Tagesbetreuung und danach in den Mittagstisch Oberstufe. Die Wechsel können bei Bedarf dem individuellen Entwicklungsstand der Kinder entsprechend erfolgen und müssen nicht gleichzeitig mit den schulischen Stufenwechseln stattfinden. Dadurch können die manchmal anspruchsvollen Übergänge sorgfältig gestaltet und abgefedert werden.

 

Wie wird das Angebot von den Familien genutzt?

Die Nachfrage nach dem Angebot der städtischen Tagesbetreuung ist gross. In den letzten 15 Jahren haben sich die Zahlen vervierfacht, und der Trend zeigt weiterhin nach oben. Die flexiblen, massgeschneiderten Nutzungsmöglichkeiten werden von den Familien sehr geschätzt und auch in Anspruch genommen. Die Anzahl der gebuchten Betreuungseinheiten variiert von Kind zu Kind stark. Die alle drei Jahre durchgeführte Befragung aller Kinder und Eltern in der Tagesbetreuung zeigt eine ausserordentlich hohe Zufriedenheit mit den Betreuungsangeboten.

 

Welchen Nutzen zieht eine Stadt wie St. Gallen aus der ganztägigen Betreuung von Kindern?

Das umfassende Tagesbetreuungsangebot trägt wesentlich zur Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsarbeit bei und erhöht die Attraktivität der Stadt St.Gallen als Arbeits- und Wohnort für Familien. Die qualitativ hochstehende Betreuung ist zudem von grossem Wert für die soziale Integration und die Chancengerechtigkeit von Kindern und Jugendlichen. Die Stadt St.Gallen geht weiter davon aus, dass sich die investierten Mittel langfristig auszahlen, z.B. in Form von zusätzlichen Steuereinnahmen, höheren Beiträgen an Sozialversicherungen oder tieferen Sozialhilfekosten.

 

Welches Optimierungspotenzial sehen Sie diesbezüglich? Welche Entwicklungen im Tagesschulangebot plant St.Gallen bzw. erwarten Sie für die nächsten Jahre?

Qualitativ hochwertige Ganztagesbetreuung ist kostenintensiv. Es bleibt auch in Zukunft eine zentrale Aufgabe, einen niederschwelligen Zugang zu den Betreuungsangeboten mit zahlbaren Tarifen für alle Eltern zu gewährleisten. Dabei müssen die Modelle für die Gemeinden finanzierbar bleiben.

Eine weitere Herausforderung stellt die steigende Nachfrage in räumlicher Hinsicht dar. Der Raum ist eine wichtige Komponente für die Betreuungsqualität. Deshalb ist es zentral, vorausschauend genügend Raum für die steigende Kinderzahl zur Verfügung zu stellen.

 

Mathias Gabathuler wurde 2021 in den Stadtrat von St.Gallen gewählt. Er ist Direktor für Bildung und Freizeit und Mitglied der FDP. Zuvor war Gabathuler als Rektor einer Kantonsschule tätig. Er studierte Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft.

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